Pater Lukas Wirth ist seit zehn Jahren Archivar im Kloster Scheyern bei Pfaffenhofen. Kaum eine Personalakte eines verstorbenen Mitbruders hat er in dieser Zeit so oft in der Hand gehabt wie die von Pater Peruschitz. "Diese Geschichte unseres Bruders Joseph bewegt die Menschen immer wieder", sagt Wirth. Traurige Nachricht nach einer Woche
Am 22. April 1912, erst eine Woche nach dem Untergang der Titanic, erreicht das Kloster Scheyern die Nachricht, dass Pater Peruschitz höchstwahrscheinlich unter den Opfern ist. Spürbar erschüttert schreibt der damalige Abt Rupert Metzenleitner in sein Tagebuch: "Heute vor 17 Jahren ist P. Joseph hier zum Priester geweiht worden." Und am selben Tag bekommt der Abt die Nachricht aus England, dass der damals 41-jährige Peruschitz beim Untergang der Titanic wohl ums Leben gekommen ist, "weil seine Nummer sich nicht in der Liste der Geretteten befand".
Die über Jahrzehnte in Scheyern gesammelten Zeitungsausschnitte, Briefe und Dokumente zu Pater Peruschitz und der Titanic-Katastrophe füllen mittlerweile zwei armdicke Folianten. Dennoch muss Klosterarchivar Wirth einräumen: "Was wir von Bruder Joseph wirklich wissen, ist recht spärlich."
Immerhin ein Foto gibt es: Vermutlich kurz vor seiner Abreise hatte Peruschitz ein Atelier in der Münchner Kaufingerstraße besucht. Die Aufnahme zeigt einen jungen, kräftigen Mann mit Bürstenschnitt. Zwei lebendige Augen blitzen hinter runden Brillengläsern hervor. Der Blick verrät Neugierde und Entschlossenheit.
Seelsorge an Bord
Der am 21. März 1871 im oberbayerischen Straßlach geborene Peruschitz wuchs in Dorfen auf, wo sein Vater eine kleines Geschäft mit Baumaterialien betrieb. Der Junge besuchte das Gymnasium und studierte ab 1890 Theologie und Philosophie in Freising. 1894 trat er in die Benediktinerabtei Scheyern ein, ein Jahr später wurde er zum Priester geweiht.
In der Klosterschule unterrichtete der Pater die Kinder in Mathematik, Musik und Sport. Sein Einsatz muss bemerkenswert gewesen sein, denn 1912 bekam er den Auftrag, beim Aufbau eines Gymnasiums der Amerikanisch-Casinensischen Benediktiner-Kongregation im US-Bundesstaat Minnesota mitzuwirken. Der 41-Jährige buchte für 155 Goldmark eine Passage zweiter Klasse auf der Titanic mit dem Ziel New York. Seine Familie wusste von dem Unternehmen nichts, da Peruschitz sie erst nach seiner Ankunft auf dem amerikanischen Kontinent mit der Nachricht überraschen wollte.
Die Personalakte, die immer noch im Kloster Scheyern verwahrt wird, zeichnet das Bild eines durchaus flexiblen Mitarbeiters im Weinberg des Herrn. Pater Joseph arbeitete in der Klosterschule wechselweise als Mathematik-, Sport- und Stenografielehrer, diente als "Musikpräfekt" und Organist. Vor neuen Herausforderungen jedenfalls scheint sich der junge Pater nicht gescheut zu haben.
Wurde gerade deshalb Joseph Peruschitz unter den damals 16 Patres im Konvent von Scheyern für eine Amerika-Mission ausgewählt? Klosterarchivar Wirth kann nur mutmaßen. Im 19. Jahrhundert waren von Bayern aus neue Benediktinerklöster in Nordamerika gegründet worden. Es liegt nahe, dass der bayerische Mönch zur Unterstützung in eine der jungen Gemeinschaften in der Neuen Welt geschickt wurde.
Die Karwoche vom 3. bis 8. April 1912 verbrachte der Benediktiner in Ramsgate südöstlich von London und fand auch Zeit, zu einem Besuch im Zoo der britischen Hauptstadt. Am 10. April verließ er dann mit dem damals größten Schiff seiner Zeit den Hafen Southampton. Obwohl Peruschitz keine offiziellen Aufgaben an Bord hatte, betreute er von Anfang an die Passagiere seelsorglich: Gemeinsam mit einem britischen Geistlichen liest Pater Joseph während der Überfahrt täglich die Messe für die Passagiere aus der zweiten und dritten Klasse.
"Pflicht als Priester voll und ganz erfüllt"
Noch am Sonntag, an dem sich die Katastrophe ereignen sollte, hielt der Ordensmann mit Father Byles einen Gottesdienst, bei dem auf Deutsch, Englisch und Französisch gepredigt wurde. Abends saßen die Menschen im Speisesaal der zweiten Klasse zusammen, um Kirchenlieder zu singen, von denen die meisten auf die Gefahren des Meeres hinwiesen. Gegen 22 Uhr wurden Erfrischungen ausgeteilt.
Am späten Abend des 14. April rammt die Titanic einen Eisberg und die Katastrophe bahnt sich an. Die Zeitschrift "America" berichtet später unter Berufung auf Augenzeugen, die beiden Geistlichen hätten geholfen, Frauen und Kinder in die Rettungsboote zu schaffen. Peruschitz und sein Mitbruder verzichten freiwillig auf die Plätze, die man den Priestern im Rettungsboot frei gehalten hat. Sie beteten stattdessen mit etwa 100 Personen, die auf dem Deck niedergekniet waren, das Vaterunser und den Rosenkranz. Die Geistlichen bleiben mit mehr als 1.500 Passagieren an Deck des leckgeschlagenen Luxusliners. Für sie gibt es keine Rettung mehr.
Am 15. April werden die Mönche von Scheyern des vor 100 Jahren verunglückten Benediktiners in ihrem Chorgebet gedenken. Pater Wirth will aus seiner Dokumentensammlung eine kleine Ausstellung zusammenstellen. Ansonsten sind die Mönche bemüht, ihren Mitbruder nicht zum Helden zu machen. Bruder Joseph habe seine Pflicht als Priester erfüllt, "wie es jeder Geistliche an seiner Stelle auch getan hätte", heißt es auf der Internetseite des Klosters.
Bayerischer Benediktiner starb beim Titanic-Unglück
Der Mönch auf der Titanic
Eine kleine Marmortafel im Kreuzgang der Abtei Scheyern erinnert an den Tod von Pater Joseph Peruschitz vor 100 Jahren. Die lateinische Inschrift besagt, dass der Benediktinermönch am 15. April 1912 gestorben ist - "in nave ista Titanica" - an Bord des Dampfers Titanic.
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