Kanzlerin Angela Merkel auf dem Höhepunkt ihrer Macht: Mit einem Traumergebnis knapp unterhalb der absoluten Mehrheit haben CDU und CSU bei der Bundestagswahl triumphiert und Merkel ihre dritte Amtszeit gesichert. Allerdings wurde die schwarz-gelbe Koalition am Sonntag nach vier Jahren abgewählt, weil die FDP nach einem beispiellosen Absturz um rund zehn Prozentpunkte erstmals in ihrer Geschichte aus dem Parlament flog. Rot-Rot-Grün lag zwar nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis vor der erstarkten Union. Ein solches Bündnis wird aber von der SPD abgelehnt. Realistischste Regierungsoption in Berlin ist nun die große Koalition.
CDU/CSU auf der einen Seite und die Oppositionsparteien SPD, Grüne und Linke auf der anderen lieferten sich ein dramatisches Kopf-an-Kopf-Rennen mit mehrfach wechselnden Mandate-Mehrheiten. Rot-Rot-Grün wurde am Wahlabend unter anderem von SPD-Chef Sigmar Gabriel für die kommende Legislaturperiode erneut ausgeschlossen. Sozialdemokraten und Grüne verfehlten den angestrebten Regierungswechsel zu Rot-Grün klar. Die SPD mit Kanzlerkandidat Peer Steinbrück erzielte das zweitschwächste Ergebnis ihrer Nachkriegsgeschichte im Bund - auch die Grünen mit dem Duo Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin sackten ab.
Überraschungserfolg für die AfD
Die FDP von Spitzenkandidat Rainer Brüderle und Parteichef Philipp Rösler blieb mit dem schwächsten Ergebnis ihrer Geschichte unter der Fünf-Prozent-Hürde. Die Union hingegen schaffte ihr bestes Resultat seit der Einheits-Wahl 1990 - erstmals konnte Merkel als Parteichefin das Ergebnis steigern. Ein Unsicherheitsfaktor war am Wahlabend stundenlang die neue eurokritische Partei Alternative für Deutschland (AfD). Sie verbuchte einen Überraschungserfolg knapp unterhalb der Fünf-Prozent-Marke.
Merkel hat jetzt für die Regierungsbildung alle Karten in der Hand, neben Schwarz-Rot ist auch die - unwahrscheinlichere - Variante Schwarz-Grün möglich. Zeitweise sah es am Wahlabend sogar nach einer Alleinregierung der CDU/CSU aus. Merkel versicherte in der «Berliner Runde» der Spitzenpolitiker, es sei selbstverständlich, «dass man sich um eine stabile Mehrheit bemüht». Sie wolle stabile Verhältnisse in Deutschland und werde «keine Vabanquespiele eingehen».
Die Kanzlerin will während der kompletten Wahlperiode bis 2017 am Ruder bleiben. Eine große Koalition hatte zuletzt von 2005 bis 2009 unter Führung Merkels regiert und Deutschland gut durch die Wirtschafts- und Finanzkrise geführt.
Im Bund erreichte bisher nur die Union eine absolute Mehrheit: 1957 stimmten 50,2 Prozent für die Partei von Kanzler Konrad Adenauer, der aber dennoch eine Koalition mit der damaligen Deutschen Partei (DP) bildete.
Vorläufiges amtliches Endergebnis
Nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis vom frühen Montagmorgen kam die CDU/CSU auf 41,5 Prozent (2009: 33,8) und legte damit um fast acht Punkte zu. Die SPD verbesserte sich ein wenig auf 25,7 Prozent (2009: 23,0). Die FDP stürzte innerhalb von vier Jahren von 14,6 Prozent auf desaströse 4,8 Prozent ab - und damit aus dem Bundestag. Die Grünen verloren leicht auf 8,4 Prozent (2009: 10,7), die Linke verschlechterte sich auf 8,6 Prozent (2009: 11,9). Die AfD kam aus dem Stand auf 4,7 Prozent.
Daraus ergeben sich für CDU/CSU im neuen Bundestag laut vorläufigem amtlichen Endergebnis 311 Sitze (2009: 239), für die SPD 192 Mandate (146). Die Grünen bekommen 63 Mandate (68), die Linke 64 Sitze (76). Die bisherige Opposition liegt damit bei 319 Mandaten. Die Wahlbeteiligung legte leicht von 70,8 Prozent (2009) auf 71,5 Prozent zu.
Zeitgleich zur Bundestagswahl wurde in Hessen ein neuer Landtag gewählt. Hier ergaben sich am Sonntag keine klaren Machtverhältnisse. Schwarz-Gelb wurde abgewählt - Rot-Rot-Grün ist in Wiesbaden ebenso möglich wie eine große Koalition, Schwarz-Grün oder ein Ampel-Bündnis von SPD, Grünen und FDP. Die bisher mit der CDU regierende FDP kam hauchdünn ins Parlament. Die SPD, die 2009 in ihrer einstigen Hochburg auf ihr schlechtestes Nachkriegsergebnis abgesackt war, legte kräftig zu. Ihr Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gümbel wollte sich nicht auf ein Bündnis festlegen. CDU-Ministerpräsident Volker Bouffier sah einen klaren Auftrag für eine Regierungsbildung.
Merkel sprach in Berlin von einem «Super-Ergebnis». Die CDU-Chefin versicherte: «Wir werden damit verantwortungsvoll und sorgsam umgehen.» Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel zeigte sich enttäuscht: «Ja, wir haben zugelegt, aber wir haben mehr erwartet, keine Frage.» SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück ergänzte: «Der Ball liegt im Spielfeld von Frau Merkel. Sie muss sich eine Mehrheit besorgen.» CSU-Chef Horst Seehofer sagte in München, seine Partei wolle eine Koalition mit der SPD «im Grunde genommen» nicht, weil ein solches Bündnis die Ausnahme sein sollte. Für die Entscheidungen im Bundesrat allerdings könne eine große Koalition hilfreich sein.
CDU-Vorstandsmitglied Annegret Kramp-Karrenbauer schloss Verhandlungen mit den Grünen über eine mögliche Koalition nicht aus. «Es gilt der alte Grundsatz, dass alle demokratischen Parteien untereinander auch gesprächsbereit sein sollten», sagte die Saar- Ministerpräsidentin. Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin sieht solche Gespräche aber skeptisch: «Die Wahrscheinlichkeit, dass dabei etwas rauskommt, halte ich nicht für besonders hoch.»
Rösler Brüderle deuten Rücktritt an
FDP-Chef Philipp Rösler und Spitzenkandidat Rainer Brüderle übernahmen die politische Verantwortung für das Debakel ihrer Partei - beide deuteten ihren Rücktritt an. «Das ist das schlechteste Ergebnis, das wir bislang mit der FDP erreicht haben», sagte Brüderle. Nordrhein-Westfalens FDP-Chef Christian Lindner verlangte eine Erneuerung seiner Partei. Der AfD-Vorsitzende Bernd Lucke sprach von einem «ganz starken Ergebnis» seiner neuen Partei.
Die Union hat ihren Erfolg bei der Bundestagswahl nach einer ersten Analyse der Forschungsgruppe Wahlen vor allem dem hohen Ansehen Merkels zu verdanken. Sie habe das beste Kanzler-Image seit 1990, als Helmut Kohl an der Spitze der Regierung stand. Die Wertschätzung sei lagerübergreifend, schrieben die Wahlforscher: 80 Prozent attestierten der Kanzlerin demnach gute Arbeit, nur 17 Prozent bewerteten ihre Leistung als schlecht. Die CDU/CSU konnte zudem davon profitieren, dass die Deutschen das Land trotz der Euro-Krise klar besser aufgestellt sehen als 2009.
Ein klarer Sieg der Union im Bund hatte sich seit Monaten in allen Umfragen angedeutet. Zudem hatte die Bayern-Wahl vor einer Woche mit einer absoluten CSU-Mehrheit den Schwesterparteien nochmals einen Schub verschafft. Die mit 3,3 Prozent aus dem Landtag geflogene FDP versuchte mit einer massiven Zweitstimmenkampagne ein ähnlich dramatisches Scheitern im Bund zu verhindern - ohne jeden Erfolg. Zur Wahl aufgerufen waren rund 61,8 Millionen Bürger. 34 Parteien mit 4451 Kandidaten bewarben sich in den 299 Wahlkreisen um die regulär 598 Sitze im Bundestag.
Katholische Kirche begrüßt Anstieg der Wahlbeteiligung
"Diese Wahl ist ein Erfolg für die Demokratie in Deutschland. Die Wahlbeteiligung zeigt die solide Verfassung unserer Demokratie. Wichtig ist, dass es in den anstehenden Parteiengesprächen gelingt, eine stabile und handlungsfähige Regierung zu bilden. Wir brauchen eine Regierung, die die Zukunftsthemen unseres Landes mutig angeht. Soziale Gerechtigkeit, Bildungsgerechtigkeit, Stärkung der Familien und ein einiges und solidarisches Europa müssen einen festen Platz auf der politischen Agenda haben." Das sagte Hamburgs Erzbischof Werner Thissen am Wahlabend.
Thissen äußerte sich auch als zuständiger Bischof für das Entwicklungshilfswerk Misereor: "Die künftige Bundesregierung muss Verantwortung in der Armutsbekämpfung übernehmen. Die Überwindung des Hungers hat dabei Vorrang. Die Regierung sollte sich verstärkt für eine lokale und regionale Landwirtschaft einsetzen. Nachhaltigkeit darf kein Schlagwort bleiben. Der Einsatz für ein internationales Klimaabkommen muss weitergehen. Es geht um die Lebensgrundlagen für Millionen Menschen, die selbst am wenigsten für den Klimawandel verantwortlich sind."