domradio.de: Was könnten Ihrer Ansicht nach Kriterien bei der Vergabe von lebenswichtigen Organen sein?
Losinger: Bisher war die Frage klar beantwortet, wer bei Eurotransplant auf die Liste der Verteilung von gespendeten Organen kommt, musste zwei Voraussetzungen erfüllen: Die medizinische Passgenauigkeit und die Dringlichkeit. Das ist auch wichtig für die Frage der Freiwilligkeit der Spende eines Organs. Die Menschen, die das tun, in einer besonderen Form des Ausdrucks von Nächstenliebe, die müssen das Gefühl haben, dass hier nicht Schabernack oder Organhandel betrieben wird, sondern dass nach klaren medizinischen Kriterien verteilt wird. Die Frage, die sich für uns stellt, mit Diskussionspartnern von außen, mit Juristen, Medizinern, Vertretern der Deutschen Stiftung Organtransplantation und auch der Bundesärztekammer wird sein, müssen wir unter Umständen die Kriteriologie vielleicht ausweiten, vielleicht neu definieren. Etwa an einem Punkt: Wenn durch die Dringlichkeit häufig natürlich besonders kranke Menschen ein Organ bekommen, die möglicherweise kurz darauf schon sterben, wäre es dann nicht günstiger, vor allem bei multiplen Organverpflanzungen, eventuell auch Jüngere vielleicht mit positiverem Überlebensdrall gesegnete Menschen zu sehen? Müsste man eventuell neue Kriterien entwerfen? Das alles ist im Status der Diskussion, wir werden uns durch Diskussionsteilnehmer und Experten beraten lassen und uns in dieser Frage weitere Überlegungen machen.
domradio.de: Gibt es schon einen Zeitplan? Denn wir stellen ja fest, dass immer weniger Bürger bereit sind, ihre Organe zu spenden. Gerade durch die aktuellen Vorfälle und durch den Missbrauch des Organhandels?
Losinger: Unser Thema "Kriterien für die Verteilung der Organe" hat gerade deswegen jetzt große Brisanz. Es war immer schon eine Frage, wie kann gerecht verteilt werden, wenn ein absoluter Mangel von Organen besteht? Denn die Menschen, die auf der Liste von Eurotransplant stehen, in Deutschland etwa 12000 zurzeit, sie müssen oft lange Wartezeiten in Kauf nehmen, weil die Spendenbereitschaft dem nicht gleichzieht. Nicht selten, und das gilt für über 1000 Menschen pro Jahr in Deutschland, weil ein solches Organ nicht eintrifft, ist der Tod die Folge. Wenn die Frage der Verteilung jetzt erneut im Fokus der gesellschaftlichen Öffentlichkeit steht, dann deswegen, weil wir ja an einigen der medizinischen Fakultäten der Republik kriminelle Machenschaften hatten, wo die Prioritätenliste beim Empfang von Organen verändert wurde, weil bestimmte Professoren ihre Patienten bevorzugten. Erst auf dem anderen Blatt Papier steht, dass deswegen andere Menschen sterben müssen und diese Ungerechtigkeit hat leider dazu geführt, dass viele Menschen, die vielleicht von einer grundsätzlichen Organspendebereitschaft bewegt waren, jetzt im Moment vorsichtig sind, sich zurücknehmen und deswegen die Organknappheit und damit das Leiden der Menschen, die dringend für ihre Gesundheit, für ihr Überleben ein Organ suchen, natürlich noch größer wird.
domradio.de: Haben Sie überhaupt einen Organspendeausweis und wenn ja, haben Sie nach dem Skandal überlegt, ihn zurückzugeben?
Losinger: Ich habe einen Organspendeausweis und ich führe den auch, wie es sich gehört, mit in meinem Geldbeutel neben der Kreditkarte. Wichtig ist an diesem Punkt natürlich auch eines, was derzeit neu ist für die Bundesbürger: Wir hatten ja in Deutschland in der zurückliegenden Zeit die berühmte erweiterte Zustimmungslösung. Das bedeutet, Organspender ist nur der, der einen Organspendeausweis ausfüllt und ihn unterzeichnet. Wenn jemand das nicht tut, ist die große Problematik, man wird die verantwortlichen Angehörigen befragen und den sogenannten mutmaßlichen Willen des Verstorbenen einholen. Ich finde das nicht fair. Ich meine, jeder sollte selbst entscheiden und das unterzeichnen und es nicht auf die Angehörigen abwälzen. In anderen Ländern etwa Spanien, Österreich gilt die sogenannte Widerspruchslösung. Dort ist jeder Organspender außer dem, der ausführlich und schriftlich widerspricht.
Jetzt nach der Novellierung des Organspendegesetzes im Jahr 2012 gilt etwas Neues. Es ist die sogenannte Entscheidungslösung. Jeder Bundesbürger bekommt von seiner Krankenkasse oder von ähnlichen Institutionen eine ausführliche Aufklärung über Organspende und ein solches Formular zugeschickt. Der Gedanke dahinter ist, Organspende ist eine Spende, sie ist eine Tat der Freiheit. Wer immer ein Organspender ist, muss sich in Freiheit dazu entscheiden und dazu werden die Bürger aufgefordert. Ich bin der Meinung, dass gerade im Blick auf die Not der Menschen, die auf ein solches oft lebensrettendes Organ angewiesen sind, es kein zu großer Stress ist, den man auf einen Bundesbürger ausübt, wenn man ihm die Frage stellt: Denk doch mal nach, ob Du vielleicht Organspender wärest?
Der zweite für mich sehr wesentliche Aspekt, gerade auch in der Diskussion der kriminellen Fälle oder gerade auch, wenn es um die Auseinandersetzung mit den berühmten Angstgenerator Hirntod geht, es ist und bleibt eine freie Entscheidung! Wer einen Organspendeausweis unterzeichnet, ist nicht automatisch ein besserer Christ. Wer es nicht tut, darf von niemandem verurteilt werden. Die Freiheit der Entscheidung ist Trumpf.
Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen