Evangelischer Pressedienst (epd): In und um Dresden demonstrieren seit Monaten Asylkritiker. Wie kann etwa in Freital ein Dialog zwischen Bürgern und Politikern gelingen?
Ernannter Erzbischof Heiner Koch (zurzeit Bischof von Dresden-Meißen): Ich erhoffe mir von dem Dialog Deeskalierendes und Aufbauendes. Wenn ich mit jemandem spreche, von Angesicht zu Angesicht, dann ist das etwas anderes, als wenn ich Parolen medial verschicke. Dann bin ich auch gezwungen, konkret zu sagen, was ich eigentlich kritisiere. Wenn dann gesagt wird, wir sind über den Tisch gezogen worden, wir sind nicht einbezogen worden, kann ich das vielleicht verstehen, und wir können dann daraus lernen.
Wenn man fragt, wie die Perspektive für die Flüchtlinge aussieht, dann sind die Verantwortlichen auch verpflichtet zu antworten. Dialog baut Gewalt ab und weckt Verständnis und Sensibilität für den anderen. Ich halte den Dialog auch notwendig mit dem, dessen inhaltliche Überzeugung ich nicht teile. Ich kann mir nicht eine Gesellschaft zusammenmalen. Ich muss die Menschen in ihrer Verschiedenartigkeit so annehmen, wie sie sind.
epd: Wie möchten Sie in Berlin den Mitgliederschwund der Kirche stoppen?
Koch: Zunächst möchte ich die stärken, die dabei sind. Ich halte es nicht für selbstverständlich, dazuzugehören und sich engagiert einzubringen. Ich erlebe das auch bei Jugendlichen hier in der Region. In der ganzen Klassenstufe sind oft nur ein oder zwei Christen. Das ist auch schwer. Da brauchen wir Stärkung und Solidarisierung.
Zudem gibt es Menschen mit einer sehr unterschiedlichen Dichte in ihrer Beziehung zur Kirche. Meine Sorge ist, dass sich diese Dichte bei vielen verdünnt. Bis dann der Punkt kommt, wo sie fragen: Warum bin ich eigentlich noch in der Kirche? Es ist nicht gut, wenn diese Menschen erst zum Thema werden, wenn sie aus der Kirche austreten. Wir müssen vorher darauf Acht geben, wie wir die Beziehung zu diesen Menschen verdichten: kritisch, wach, einbindend, wertschätzend.
Die dritte Gruppe sind jene, die kaum oder gar keine Berührung haben mit dem christlichen Glauben. Wie kann man mit diesen Menschen in einen ehrlichen, offenen Dialog kommen? Wie kann man sich gegenseitig wahrnehmen und wertschätzen? Ich bemerke hier in Sachsen - ich vermute, das wird auch in Berlin so sein - eine Sorge, vereinnahmt zu werden, auch und gerade durch die Kirche. Eine solche Abwehrhaltung erschwert den Glauben. Letztlich geht es darum, dass Menschen Gott in ihrem Leben entdecken.
epd: Warum ist Ihnen der interreligiöse Dialog wichtig?
Koch: Ich bin von meiner Kölner Zeit geprägt. Ich habe dort das Referat für interreligiösen Dialog geleitet. Hier in Sachsen habe ich den interreligiösen Dialog fast nicht erlebt, weil es hier viel weniger Muslime gibt als in Köln. Dort begann es mit der theologischen Frage: Was heißt es eigentlich, wenn ich sage, ich glaube - als Moslem, als Jude, als Christ? Aus dem theologischen Dialog entwickelten sich dann immer mehr soziale Projekte.
epd: Wie gehen Sie den interreligiösen Dialog konkret in Berlin an?
Koch: Also erstens möchte ich mit den Verantwortlichen sprechen. Das ist ziemlich schwierig, weil es im Gegensatz zu einer Kirche, wo es eine klare Kirchenleitung und Ansprechpartner gibt, dieses in der Vielzahl muslimischer Gruppierungen und Gemeinschaften gar nicht gibt. Zweitens bin ich am Gespräch mit den Theologen interessiert. Ich will nicht immer nur in erster Linie mit politisch Verantwortlichen sprechen.
epd: Die Kirchen möchten das Reformationsfest 2017 als Christusfest gemeinsam feiern. Wie erleben Sie das Bemühen um Gemeinsamkeit?
Koch: Ökumene bewährt sich da, wo wir unterschiedlicher Überzeugung sind. Ökumene bedeutet, miteinander zu leben - offen, ehrlich, gerade auch in Punkten, wo man eine unterschiedliche Geschichte, Spiritualität oder Theologie vertritt. Ich habe es hier in Sachsen als segensreich erleben dürfen, dass Ökumene nie kleinster gemeinsamer Nenner hieß. Wir haben uns auch an Punkten gut ausgetauscht, wo wir nicht einer Meinung waren, aber wo wir den Anderen nicht als Bedrohung, sondern als Bereicherung angenommen haben. Wir waren 1.500 Jahre zusammen, 500 Jahre sind wir getrennt. Ich habe die Hoffnung, dass es wieder aufeinander zugeht - aber es wird nur mit Ehrlichkeit gelingen. Gesten nach außen, die innerlich nicht gedeckt sind, führen nicht weiter.
epd: Ein anderes vieldiskutiertes Thema ist im Moment Homosexualität und die «Ehe für alle». Wie stehen Sie dazu?
Koch: In unserer Gesellschaft werden unter Ehe viele unterschiedliche Dinge verstanden. Die Diskussion ist wohl deshalb so schwierig. Die Väter des Grundgesetzes hatten wohl damals ein ganz anderes Verständnis als mancher Politiker und mancher Richter heute. Ich sehe da eine Gefahr, weil mit dem gleichen Wort unterschiedliche Inhalte verbunden werden. Das Gespräch und der Austausch werden damit immer schwieriger. Wir Katholiken verstehen unter Ehe die lebenslange Bindung von Mann und Frau, die prinzipiell offen ist für die Weitergabe des Lebens. Das ist etwas anderes als wenn ich Ehe als Vertrag verstehe, der so lange bedeutsam bleibt, wie ich von dem Anderen begeistert bin.
epd: Geht die Kirche bei der Ehe von einem Ideal aus, das in der Realität immer schwerer zu leben ist?
Koch: Die christliche Sicht von Ehe ist keine ideale Sicht. Für uns gehört zur Ehe auch das Ringen, das Lernen, das Ertragen des Anderen, frohe und dunkle Stunden miteinander zu teilen. Gerade als Sakrament ist die Ehe ein Ort, wo Gott auch da ist, wenn es dunkle und herausfordernde Stunden gibt.