kna: Herr Kardinal, welche Eindrücke bringen Sie von der Begegnung mit dem Papst mit?
Lehmann: Wir haben eine ganze Reihe von Themen besprochen: Kurienreform, Familienpastoral einschließlich der Frage der wiederverheirateten Geschiedenen, die nächsten Bischofssynoden aber auch die Situation im Bistum Limburg. Ich habe einen sehr frischen, humorvollen, gelassenen, aber auch entschiedenen, zielstrebigen und durchsetzungsfähigen Papst erlebt, der so tatkräftig auftritt, dass man ihm die 77 Jahre, die wir beide haben, gar nicht angemerkt hat. Ich bin durch das Gespräch sehr ermutigt.
kna: Ist der Papst über die Situation in Limburg informiert?
Lehmann: Franziskus ist darüber erstaunlich gut und authentisch informiert. Ich habe ihm gesagt, dass ich den Limburger Bischof für einen sehr klugen, gut ausgebildeten, kommunikativen und höflichen Menschen halte, bei dem ich nie etwas von verschwenderischem Protz erlebt habe. Allerdings hat eine gewisse Geheimhaltungspolitik den Vorgang belastet, und eine Medienkampagne hat ihn geschürt. Ich habe die Sorge: wenn wir nicht bald zu einer Klärung kommen, wird die Aufbruchstimmung, die der Papst nach seiner Wahl ausgelöst hat, gefährdet. Denn der Vorgang fördert Misstrauen und eine feindselige Grundstimmung gegenüber der Kirche.
kna: Kommt Bewegung in das Thema der Familienpastoral?
Lehmann: Für den Papst ist es offensichtlich wichtig, dass man hier vorwärtskommt. Er setzt dabei stark auf die beiden nächsten Bischofssynoden zu diesem Thema. Mir scheint, er sieht darin ein Stück weit einen Test.
kna: Erwarten Sie Änderungen, etwa zu einem Sakramentenempfang für wiederverheiratete Geschiedene?
Lehmann: Die Frage des Sakramentenempfangs kann man nicht umgehen, man muss sie angehen, aber nicht zuerst. Die Kirche muss sich um Menschen aus zerstörten und gestörten Beziehungen kümmern - und dazu gehören ganz besonders auch wiederverheiratete Geschiedene. Sie haben in der Kirche einen Platz. Allerdings muss man die jeweiligen Situationen genau beachten. Man kann nicht überall Barmherzigkeit predigen, zur Barmherzigkeit gehört auch Gerechtigkeit. Dieses Verhältnis muss nochmals gründlich reflektiert werden.
kna: Sie haben vergangenen März am Konklave teilgenommen. Sehen Sie die damaligen Erwartungen erfüllt?
Lehmann: Wir sind positiv überrascht worden. Der Papst war zuvor stark mit seiner Erzdiözese Buenos Aires verbunden, ist nicht viel gereist, war auf weltkirchlicher Ebene weniger engagiert als andere.
Daher kannten viele Europäer ihn nicht näher. Freilich hatte man beim Konklave durchaus einen Wechsel erwartet - und einen Nichteuropäer gewählt.
kna: Worin sehen Sie das Charakteristikum des Pontifikats?
Lehmann: Das muss sich noch zeigen, zehn Monate sind erst der Anfang des Anfangs. Wesentlich scheint mir, wie authentisch Franziskus in seiner Lebensweise und seiner Verkündigung aus dem Evangelium lebt.
Das hat hohe Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit und gewinnt Vertrauen. Aber auch bei den ersten Personalentscheidungen an der Kurie, vor allem des Staatssekretärs, sowie bei der Auswahl der neuen Kardinäle erkennt man die Handschrift des Papstes.
Allerdings darf man den Papst und seine Botschaft nicht nur auf die Predigt für die Armen verkürzen - ein zweifellos sehr wichtiges Anliegen der Kirche. Aber bedeutsam erscheinen mir auch seine Äußerungen zur Verkündigung des Wortes Gottes und der hohe Stellenwert, den er der Predigt beimisst. Damit stellt er klar, dass man an die Peripherien nur dann gehen kann, wenn man auch in der Tiefe verwurzelt ist. Diese Ergänzung ist sehr wichtig.
kna: Das Nebeneinander eines Papstes und eines emeritierten Papstes innerhalb der Vatikanmauern schien zunächst etwas problematisch.
Lehmann: Dass Benedikt XVI. zurücktrat, als er sah, dass seine Kräfte nicht mehr ausreichten, war meiner Ansicht nach eine Großtat ohnegleichen. Damit hat er dem Papsttum einen enormen Dienst erwiesen - und es vermenschlicht. Und so wie Benedikt XVI. sich zurückgezogen verhält, und wie Franziskus immer wieder an ihn anknüpft: Das könnte nicht besser sein - bei aller Verschiedenheit der Persönlichkeiten und Ausrichtungen. Denn sie gehen in dieselbe Richtung und geben damit ein großartiges Zeugnis für die Einheit der Kirche.
kna: Wohin wird Franziskus die Kirche führen?
Lehmann: Er wird sie aus manchen Krisen herausführen. Ich bin überrascht, wie oft er in seinen Dokumenten und Ansprachen vom Klerikalismus spricht. Wie er betont, dass der Klerikalismus eine tatkräftige Mitarbeit der Laien in der Kirche mitunter verhindert.
Zudem will Franziskus die Ortskirchen stärken, indem er ihnen eine gewisse Lehrautorität zuspricht - wenn auch nicht im engeren theologischen Sinn. Und er wird sicher auch die Kurie so herrichten, dass sie diesen Weg mit der Gesamtkirche gehen kann.
In theologischen Grundfragen ist Franziskus meiner Ansicht nach freilich konservativ - im besten Sinne des Wort. Er gibt nichts von dem preis, was wahrhaft katholisch ist. Deswegen werden sich bestimmte Reformer wohl noch wundern. Denn manches, was uns in Deutschland oder in Europa wichtig erscheint, ist es für ihn nicht.
Er lässt keinen Zweifel daran, dass die Frau eine viel bessere Rolle in der Kirchen spielen kann und soll. Aber Priesteramt oder Diakonat der Frau sind für ihn dabei nicht die wichtigsten Anliegen. Auch zu Themen wie Abtreibung und Scheidung hat er sich in seinen Schriften so deutlich geäußert, dass man von ihm dazu keine billige Liberalisierung erwarten darf.
Das Interview führte Johannes Schidelko