In einer am Dienstag in Fulda veröffentlichten Erklärung der Moral- und Pastoraltheologen heißt es, die Kirche müsse sich verabschieden von einer auf den Geschlechtsakt fixierten moraltheologischen Tradition und dem Wunsch, alles Sexuelle normieren zu wollen.
Die kirchliche Position zur künstlichen Empfängnisverhütung findet nach Einschätzung der Theologen "annähernd keine Akzeptanz" mehr.
Sowohl die Sprache kirchlicher Verlautbarungen als auch die theologlische Begründung der Sexualmoral aus dem Naturrecht seien für die meisten unverständlich.
Nach Meinung der Theologieprofessoren stehen die Katholiken in Deutschland der kirchlichen Lehre von der Unauflöslichkeit und Sakramentalität der Ehe positiv gegenüber. Die negative Einstellung der Kirche zu Empfängnisverhütung, homosexuellen Beziehungen und wiederverheiratet Geschiedenen verdunkele allerdings zunehmend die positiven Gehalte kirchlicher Lehre.
Viele Erscheinungsformen des Sexuellen
Die christliche Moralverkündigung dürfe die Sexualität nicht nur mit Blick auf die Ehe ansprechen, sondern müsse auch "die vielen Erscheinungsformen des Sexuellen außerhalb der Ehe" zum Thema machen, heißt es in der Erklärung weiter. Viele Menschen fänden es nicht nachvollziehbar, wenn ihnen die Kirche nur Zölibat und Ehe als legitime Lebensformen vorstelle. Die allermeisten sammelten schon vor ihrer Ehe sexuelle Erfahrung; auch eine Mehrheit der Gläubigen lebe vor der Eheschließung zusammen.
"Im Licht des Evangeliums ist zu prüfen, ob nicht auch andere Lebensformen vom Verdikt der Sünde entlastet werden können", erklärten die Professoren. Sie reagieren damit auf die Anfang November vom Vatikan gestartete Umfrage im Vorfeld der Weltbischofssynode zum Thema Familie im Oktober 2014. Die Bischofskonferenzen wurden aufgefordert, die Meinung der Christen zu diesen Themen einzuholen und eine Zusammenfassung der Ergebnisse bis Ende Januar vorzulegen.
Mit Blick auf die wiederverheiratet Geschiedenen sprechen sich die Professoren für eine barmherzigere Haltung aus. Sie loben die umstrittene Handreichung aus dem Erzbistum Freiburg, die "die menschenfreundliche und respektvolle Grundhaltung Jesu konsequent zum Maßstab der kirchlichen Sorge um wiederverheiratet Geschiedene machen will". Die Kirche müsse sich die Frage stellen, wie hoch die Anforderungen an die Gläubigen sein müssten, um die Sakramente zu empfangen. "Dies ist eine Entscheidung der Kirche, die auch zu Gunsten wiederverheiratet Geschiedener ausfallen könnte, welche die Sakramente empfangen und aktiv am Gemeindeleben teilnehmen wollen."
Mit Blick auf die Bewertung von Homosexualität sprechen sich die Wissenschaftler für ein deutliches Signal an Menschen in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften aus. Die Kirche solle deutlich machen, dass "Treue, Verlässlichkeit und Solidarität nicht weniger wert sind, nur weil sie von Schwulen und Lesben gezeigt werden". Das bedeute keine Vorentscheidung für eine Gleichstellung ihrer Lebensform mit der Ehe.
Ähnliche Forderung des ZdK
Zuvor hatten auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) und Umfragen in mehreren katholischen Bistümern Änderungen in der kirchlichen Sexualmoral gefordert. Die Rede war von einer großen Kluft zwischen Lehre und Alltag der Katholiken.
Die Erklärung wurde von Mitgliedern der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Moraltheologen sowie der Konferenz der deutschsprachigen Pastoraltheologen und Pastoraltheologinnen erarbeitet. Initiatoren waren der Fuldaer Moraltheologe Rupert Scheule und der Fuldaer Pastoraltheologe Richard Hartmann. Beteiligt waren unter anderen die emeritierten Professoren Antonio Autiero (Münster), Johannes Gründel (Mainz), Hans Kramer (Bochum), Norbert Mette (Dortmund) sowie die Professoren Eberhard Schockenhoff (Freiburg), Martina Blasberg-Kuhnke (Osnabrück), Klaus Kiessling (Sankt Georgen) und Judith Könemann (Münster).