"Wir jammern nicht. Wir klagen." Unter diesem Motto haben sich Familienverbände und Eltern zusammengetan, um die ihrer Meinung nach ungerechte Architektur des Sozialstaats umzubauen. Mit Spannung erwarten sie ein Urteil des Bundessozialgerichts, das für Oktober angekündigt ist: Familien haben dort drei Musterverfahren gegen "ungerechte Sozialbeiträge" angestrengt. Zuvor hatten sie vergeblich bei Kranken- und Rentenkassen eine Verringerung ihrer Beiträge beantragt.
Unterstützt werden die Eltern vom Familienbund der Katholiken (FDK) und vom Deutschen Familienverband (DFV). "Heute zahlen 14 Millionen Eltern mit minderjährigen Kindern doppelt in die Sozialversicherungen ein", argumentieren die beiden Verbände, die im Februar die Kampagne "elternklagen.de" ins Leben gerufen haben.
Argumentationshilfe gibt ihnen die Studie der Bertelsmann Stiftung "Familien in der gesetzlichen Rentenversicherung", die das Rentensystem als "nicht familiengerecht" kritisiert: Ein heute 13-Jähriger werde im Laufe seines Lebens durchschnittlich 77.000 Euro mehr in die Rentenkasse einzahlen, als er selbst an Rente beziehen wird, heißt es darin. Seine Eltern jedoch hätten davon wenig: Zwar hätten sie mit der Gründung einer Familie und ihrer Erziehungsleistung der Rentenkasse diesen Überschuss erst ermöglicht. "Aber weder erhöht sich dadurch ihre eigene Rente wesentlich, noch zahlen sie weniger Beiträge als Kinderlose."
Musterschreiben an die Versicherungen
Die beiden Verbände rufen deshalb die Eltern in Deutschland auf, bei der Kranken- und der Rentenkasse eine Verringerung ihrer Beiträge zu beantragen. "Zahlen Sie nicht doppelt, wehren Sie sich", appellieren sie an die Eltern und stellen Musterschreiben an die Versicherungen zur Verfügung.
Sie verweisen dabei auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Pflegeversicherung von 2001. Damals hatten die Karlsruher Richter entschieden, dass Eltern verfassungswidrig belastet werden, weil neben den Geldbeiträgen der gleichwertige Erziehungsbeitrag nicht berücksichtigt werde. Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, auch die Kranken- und Rentenversicherung auf die Frage der Familiengerechtigkeit hin zu prüfen.
"Seitdem ist nichts passiert", kritisierte der Präsident des Familienbundes, Stefan Becker, am Sonntag im Gespräch mit der "Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA)". Der Gesetzgeber habe zwar den Beitrag für Kinderlose in der Pflegeversicherung leicht angehoben. Bei Kranken- oder Rentenversicherung sei das aber nicht geschehen.
Und DFV-Präsident Klaus Zeh sagte der "Bild am Sonntag": "Jene, die das System am Leben halten - die Eltern - werden ständig ignoriert. Damit muss endlich Schluss sein." Nach Berechnungen der Verbände müssten Familien um mindestens 238 Euro pro Kind und Monat entlastet werden.
Prominente Unterstützung
Die Familienverbände haben sich bei ihrer Kampagne prominente Unterstützung geholt. Der hessische Sozialrichter Jürgen Borchert versucht schon seit drei Jahrzehnten, die Politik zu einem Kurswechsel zu zwingen und mehr Familiengerechtigkeit durchzusetzen.
Nach Einschätzung des Juristen, der maßgeblich am "Trümmerfrauenurteil" (1992) und am Urteil zur Pflegeversicherung von 2001 des Bundesverfassungsgerichts beteiligt war, stammen die geltenden Steuer- und Sozialsysteme "aus einer Zeit, in welcher lebenslange Kinderlosigkeit kein Thema war". Derzeit müssten Eltern sowohl einen höheren Anteil an Verbrauchssteuern zahlen als auch durch Kindererziehung die Renten der Kinderlosen vorfinanzieren. Allein über Renten-, Pflege- und Krankenversicherung würden jährlich 120 Milliarden Euro von Familien hin zu Kinderlosen verteilt.
Die vom Staat im Gegenzug erstatteten Leistungen wie Kindergeld oder die Anerkennung von Erziehungszeiten in der Rente bezeichnet der Sozialexperte demgegenüber als lächerlich. So würden die Kosten der Erziehungszeiten nicht den Kinderlosen auferlegt, sondern "zu tragen haben diese Mogelpackung in Zukunft allein die Kinder der bedachten Eltern". Borchert bringt es auf den Punkt: Der Staat "klaut den Familien die Sau vom Hof und bringt lediglich drei Koteletts zurück", schrieb er in seiner 2013 erschienenen Streitschrift "Sozialstaatsdämmerung".