In NRW gibt es einen Mangel an jüdischen Religionslehrern

Gefragt: Einführung in die Weisheit der Tora

In Nordrhein-Westfalen gibt es einen Mangel an jüdischen Religionslehrern. "Es gibt in Deutschland Tausende jüdischer Schüler, die nach Wissen verlangen, aber nicht genug Lehrer", sagt der Kantor der Jüdischen Gemeinde in Münster, Efraim Yehoud-Desel. Grund sind vor allem die russischen Zuwanderer, die nach dem Mauerfall die Zahl der in Deutschland lebenden Juden von 20.000 auf 170.000 anstiegen ließen.

 (DR)

Efraim Yehoud-Desel steht in der Synagoge vor dem großen achtarmigen Leuchter und hält die Kerzen bereit. «Jeden Tag dürft Ihr eine von ihnen in die Chanukkia stecken - aber nur von rechts nach links», erklärt der Religionslehrer und Kantor der jüdischen Gemeinde in Münster und macht vor, wie es geht. Seine Schüler sehen ihm voller Vorfreude auf Chanukka zu. Das acht Tage dauernde Lichterfest der Juden beginnt am Abend des 21. Dezember.

«Mit meinem Unterricht muss ich ganz vorne anfangen», sagt Yehoud-Desel. Denn die meisten seiner Schüler stammten aus der ehemaligen Sowjetunion, wo sie und ihre Familien ihren Glauben wegen antisemitischer Anfeindungen nicht praktizieren konnten. «Sie wissen nur wenig vom Judentum», bedauert der 56-Jährige. Er versucht, ihnen ihre religiöse Identität wiederzugeben.

Yehoud-Desel ist einer von drei Religionslehrern, die den 250 Schülern der zehn Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe zur Verfügung stehen. «Ich bin viel unterwegs», sagt er. In Münster warten 40 Schüler, auf fünf Gruppen aufgeteilt, auf seinen Unterricht. In Dortmund und Hagen sind es noch einmal drei beziehungsweise zwei Klassen. Er führt sie in die Weisheit der Tora (die fünf Bücher Mose) ein und bereitet sie auf die Bar Mizwa (die Religionsmündigkeit) vor.

Weil es niemanden gab, der sich um die 21 jüdischen Kinder in Osnabrück kümmerte, bekam der staatlich geprüfte Religionslehrer auch die Lehrbefugnis für Niedersachsen. «Mein Unterricht soll lebensnah sein», wünscht sich Yehoud-Desel. Liebe, Zorn und Eifersucht sind Themen aus dem Alltag der Jungen und Mädchen, die er den Geboten der Tora, aber auch wissenschaftlichen Studien gegenüberstellt. «Die Bibel steht im Zentrum unseres Glaubens. In ihr findet man jedes nur erdenkliche Thema. Sie macht möglich, dass wir uns und andere Menschen kennenlernen», erläutert der 56-Jährige, der in Israel geboren wurde und in seiner Heimat neben der Tora und den Talmud (die Interpretation der Tora) Grafik-Design studierte.

In seinen Lehrstunden bereitet er mit den Kindern auch Theaterstücke vor - wie zum diesjährigen Chanukka-Fest in der münsterschen Gemeinde - oder ruft künstlerische Projekte für junge Christen und Juden ins Leben. «Es gibt in Deutschland Tausende jüdischer Schüler, die nach Wissen verlangen, aber nicht genug Lehrer», beklagt Yehoud-Desel, der als Schulbeauftragter des Landesverbandes der Gemeinden in Westfalen-Lippe für die Lehrerfortbildung zuständig ist.

Herbert Rubinstein vom Landesverband Nordrhein bestätigt den Mangel an Pädagogen. Für die 340 Schüler aus den elf Gemeinden, die die Yitzhak-Rabin-Grundschule und die Religionsschule in Düsseldorf besuchen, gebe es nur vier Lehrer. «Wir warten dringend darauf, dass junge Leute das Lehramtsstudium aufgreifen», sagt Rubinstein.

Möglich ist diese Ausbildung seit 2001 an der Heidelberger Hochschule für Jüdische Studien. «Hier wird auch mit dem Zentralrat der Juden an einem Lehrbuch für jüdischen Religionsunterricht gearbeitet», weiß Yehoud-Desel. Und dann kommt bei ihm, der in Münster auch zwei 18-Jährige zu Vorbetern ausbildet, ein bisschen Stolz auf: Denn der erste Absolvent, der diese im deutschsprachigen Raum einmalige Hochschule mit dem Staatsexamen in der Tasche verließ, war ein Schüler von ihm.