Das im Vergleich zu anderen westlichen Ländern unübliche deutsche Unterrichtsmodell habe sich darin bewährt, religiösen Fundamentalismus "auch von christlich-anglikanischer Seite" im Zaum zu halten, erklärte der Publizist und Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik am Samstag in Düsseldorf. Daher spreche "nichts für eine Abschaffung des deutschen Religionsverfassungsrechts". Das Modell sorge dafür, dass sich die Kirche in der Gesellschaft nicht isoliere und selbst ausgrenze.
Der Philosoph Klaus Blesenkemper von der Universität Münster erklärte, der Unterricht in Sinn- und Wertfragen sei noch nie so notwendig wie heute gewesen. Wer als politisch Verantwortlicher bestehende Lücken im Angebot nicht schließen wolle, handele politisch unverantwortlich, sagte er auf einem religionspolitischen Kongress der Grünen. Praktische Philosophie und Religionsunterricht könnten gleichermaßen einen Beitrag zu einer "Kultur der Verständigung" leisen. Kritisch bewertete Blesenkemper, dass die NRW-Landesverfassung als Ziel des Religionsunterrichts die "Ehrfurcht vor Gott" ausgebe.
Identifikation ohne Kenntnis des Glaubens
Der Islamwissenschaftler Mouhanad Korchide unterstrich die Bedeutung von bekenntnisorientiertem islamischem Religionsunterricht, wie er inzwischen in drei Bundesländern - darunter auch NRW - eingeführt worden ist. "Immer mehr Jugendliche identifizieren sich stärker mit ihrem Glauben, wissen über den Glauben aber immer weniger", sagte der Leiter des Zentrums für islamische Theologie an der Universität Münster. Salafisten nutzten diese Unwissenheit aus. Religionsunterricht müsse junge Menschen deshalb dazu befähigen, einen Zugang zum Glauben zu finden, der sie in ihrer Lebenswirklichkeit anspreche. Sie müssten zwischen menschenfreundlichen und -feindlichen Interpretationsangeboten unterscheiden lernen.
Mit Blick auf den Terroranschlag auf das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo" sagte Brumlik, die "mörderischen Attentate" hätten die "unheimliche Kraft der Religion im wahrsten Sinne des Wortes" deutlich gemacht. Diese Kraft könne im Guten wie im Bösen wirken. Die Zivilgesellschaft habe auf den Anschlag mit ihrem Aufruf zu Toleranz und bürgerlicher Freiheit beeindruckend reagiert.