Immer mehr Katholiken in Frankreich wählen Le Pen

Die Bastion Kirche droht zu fallen

In Frankreich bröckelt die traditionelle Bindung von praktiziertem Katholizismus und der Wahl bürgerlicher Parteien. Die Zahl der Front-National-Wähler hat sich hier vervielfacht. Eine Analyse.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Marine Le Pen, Front National (dpa)
Marine Le Pen, Front National / ( dpa )

Von "Zombie-Katholiken" spricht polemisch der französische Historiker und Autor Emmanuel Todd. Gemeint sind jene praktizierenden Katholiken Frankreichs, die aus ihrer Bindung an klassische religiöse und gesellschaftliche Werte heraus quasi automatisch bürgerlich-republikanisch wählen. Nun - die "Zombies" scheinen auszusterben: Zweieinhalb mal so viele praktizierende Katholiken haben im ersten Durchgang der Regionalwahlen für den rechtspopulistischen Front National gestimmt als noch bei den Departementswahlen im März. Und die nicht praktizierenden, sprich die nur auf dem Papier Katholischen, sind gar die Triebfeder, die den Front landesweit als Sieger aus der ersten Runde hervorgehen ließ.

Das Meinungsforschungsinstitut IFOP hat im Auftrag des viel gelesenen Magazins "Pelerin" (Pilger) das Wahlverhalten der französischen Katholiken erhoben. Demnach war ihre Mobilisierung mit 90 Prozent noch einmal höher als sonst ohnehin schon. Bestätigt wurden auch die traditionellen Linien: dass etwa die meisten Katholiken nach wie vor bei weitem das republikanische Lager bevorzugen (46 Prozent bei den regelmäßig praktizierenden, 32 Prozent bei den nicht praktizierenden), dass Katholiken kaum bis wenig Sozialisten wählen (8 bzw. 20 Prozent) und dass die praktizierenden Katholiken weniger Front National wählen als der Landesdurchschnitt (23 gegenüber 28 Prozent).

2013 erklärten 7 Prozent aller Katholiken, dem Front National nahezustehen

Frappierend aber: Der Graben ist deutlich kleiner geworden. Im November 2013 erklärten 7 Prozent aller Katholiken, dem Front National nahezustehen, unter den Franzosen insgesamt war die Partei damals für 13 Prozent attraktiv. Und noch bei den Departementswahlen im März stimmten nur 9 Prozent der Kirchgänger für einen FN-Kandidaten. Diesmal waren es zweieinhalb mal mehr.

Ein weiterer Befund: Die nicht praktizierenden Katholiken wählten mit 34 Prozent noch weit häufiger FN als der Landesdurchschnitt (28 Prozent). Die signifikante Wählerwanderung nach rechts seit März belegt noch eine andere Zahl: Stimmten vor neun Monaten noch 69 Prozent der praktizierenden Katholiken eine der bürgerlich-rechten Parteien, waren es diesmal nur noch 56 - ein Minus von 13 Prozent.

Woher der katholische Rechtsruck? Vordergründige Analysen verwiesen auf den Einfluss der Pariser Attentate vom 13. November, auf Angst vor islamischer Überfremdung und Flüchtlingskrise. Auch die integrierende Rolle der jungen, erklärt katholischen Le-Pen-Enkelin Marion Marechal-Le Pen, Spitzenkandidatin in der Region Provence-Alpen-Cote d'Azur, wird angeführt. Die Wählerbefragungen des IFOP weisen jedoch noch in eine andere Richtung.

Protestverhalten bei alten Kirchgängern

Die Meinungsforscher erkennen vor allem ein Protestverhalten bei alten Kirchgängern - also jenen vermeintlichen "Zombie-Katholiken" Todds. Sie emanzipierten sich vom impliziten "Nein" ihrer Bischöfe zum FN, um die regierenden Sozialisten abzustrafen. Letzteres zumindest gaben 46 Prozent dieser Wählergruppe als Motiv an - gegenüber 45 Prozent regionalen Anliegen wie Wirtschaftsförderung, Arbeitslosigkeit etc. Im Landesvergleich aller Wähler gaben lediglich 39 Prozent an, die Politik der Regierung sanktionieren zu wollen; 48 Prozent stellten regionale Anliegen ihrer Wahlentscheidung voran. Als entscheidende einzelne Wahlkriterien nannten praktizierende Katholiken zuvorderst die Themen Beschäftigung (71 Prozent), Sicherheit (61 Prozent), Kampf gegen den Terrorismus, Kaufkraft (je 57 Prozent) und die Aufnahme von Flüchtlingen (52 Prozent). Letzteres beschäftigt diese Wählergruppe offenbar deutlich intensiver als den Durchschnitt der Wählerschaft (44 Prozent).

Die Kirchgänger sind kein Bollwerk mehr gegen den Front National. Ein bisschen resistenter noch, aber nicht mehr bedeutend. Mit der erst 25-jährigen "Marion" hat der Front National eine so attraktive wie «gute Katholikin» als Galionsfigur. Gewinnt sie am Sonntag im Süden, wird sie wohl künftig noch mehr katholische Wähler ziehen - und ihrer Tante Marine womöglich den Weg in den Elysee ebnen.


Quelle:
KNA