KNA: Herr Willemsen, Sie werden 60. Zeit, zurückzublicken. Was waren Ihre schönsten Momente auf der Bühne oder im Fernsehen?
Roger Willemsen (Publizist und ehemalige Fernsehmoderator): Es gibt diese Begebenheiten, die sehr hysterisch-komisch sind. Es gibt die, die ganz feierlich werden. Und es gibt die ganz gerührten, wenn nicht innigen. Und manchmal hat es mir auch die Sprache verschlagen. In Interviews etwa, wenn mein Gegenüber sehr überraschend wurde. Das ist aber sehr schön. Ich finde, dass ein Loch in einer Fernsehsendung fast eine Kostbarkeit ist, weil man dann das Gefühl hat, hier sammeln sich wirklich die Gedanken, hier ist nicht alles abgesprochen. Hier ist Platz für Unvorhersehbares. Maria Schell hat mich einmal in einer Sendung geküsst, da wusste ich plötzlich nicht mehr, wo ich bin.
KNA: Sie haben sich vom Fernsehen weitestgehend verabschiedet; wo liegt nun ihr Schwerpunkt?
Willemsen: Vor allem in Bühnenprogrammen. Und in meiner Tätigkeit als Autor und Publizist. Außerdem in der Arbeit für die afghanischen Frauen und Mädchen. Ich habe mich immer wieder in den Ländern engagiert, in die ich gereist bin. Ich habe versucht, mich in Äthiopien zu engagieren, aber Afghanistan war immer so eine blaue Blume der Sehnsucht für mich. Als ich das erste Mal da war mit der Hilfsorganisation Care und dann mit dem afghanischen Frauenverein, dessen Schirmherr ich dann geworden bin, da war einfach klar, ich entlasse diese Leute nicht aus meinem Interesse.
KNA: Sie wollen die Welt ein bisschen besser machen?
Willemsen: Ja! Und zum Teil mache ich das aus meinem Bedürfnis heraus, wenigstens zu einem Teil für andere Leute zu leben. Ich glaube, jedes Leben wird dadurch besser, dass man es auch für andere lebt. Und wenn man so privilegiert lebt wie ich und eine Öffentlichkeit finden kann und dazu noch im Bereich der Kommunikation arbeitet, also schreibt, dann sollte man um Himmels Willen irgendwas tun, das anderen hilft. Das ist eine Pflicht.
KNA: Einer, der die Pflicht des Daseins für andere vorlebt, ist Papst Franziskus...
Willemsen: ... den ich sehr schätze! Es ist eine Wohltat, dass er sich traut, politisch Stellung zu nehmen - und zwar entschiedener, als es die Vorgänger getan haben. Seine Zuwendung zu Armut und Bescheidenheit ist glaubwürdig. Er geht in die Favelas, zu den Leuten. Er wirkt barmherzig, empathisch, humorvoll. Er ist mir definitiv der nächste seit vielen Jahren.
KNA: Das sagen Sie als Protestant?
Willemsen: Als nicht gläubiger Protestant. Es gab diesen Kindheitsgott. Es gibt eine inständige Beziehung des kleinen Jungen, der irgendwo in der Nähe von Bonn in der Eifel sitzt und sich Gott vorstellt. Der dazu eine ganz innige Beziehung hat. Die dörfliche Kultur, in der ich groß geworden bin, war durch und durch katholisch. Alle hatten das Aschekreuz über der Nasenwurzel zu Aschermittwoch.
Fronleichnam wurde auch gefeiert. Und Allerseelen wurde gefeiert, man brachte Grableuchten auf die Friedhöfe. Ganz viele der noch intakten katholischen Glaubensrituale habe ich dort erlebt. Ich bin dann aber so weit Rationalist geworden, dass ich mit meiner Vernunft den Glauben nicht mehr in Einklang bringen konnte. Ich würde gerne glauben, aber ich kann nicht. Aber ich respektiere jeden Gläubigen und vor allem die christliche Ethik, der so viel Humanität innewohnt.
KNA: Wie sehen Sie den respektlosen Umgang mit dem Glauben? Was ist mit Witzen über Religion?
Willemsen: Ich habe mit der Zeit immer weniger gespottet über den Glauben. Und mir immer mehr versagt, Witze über Glaubenswahrheiten zu machen. Im Hinblick auf jede Religion. Deswegen bin ich kein Freund von Mohammed-Karikaturen und ich sehe da auch keine Befreiung drin. Ich finde auch Jesus-Karikaturen läppisch. Sie sind so banal. Ich erkenne da den Gegenstand der Kritik nicht. Was soll eigentlich kritisiert werden?
KNA: Wenn Sie nicht gläubig sind, worin besteht für Sie der Sinn des Lebens?
Willemsen: Der Sinn besteht darin, die gegebene Frist sinnvoll zu nutzen. Nicht nur Spaß zu haben.
KNA: Wenn die Frist dann um ist - was ist mit einem Leben nach dem Tod?
Willemsen: Darüber kann ich nichts wissen, und das betrübt mich nicht.
KNA: Wie wollen Sie die Frist nutzen, die Ihnen noch bleibt?
Willemsen: Da für mich zu den größten Glückszuständen der Zustand der Produktivität gehört, also etwas hervorzubringen, richtet sich meine Glücksvorstellung in erster Linie auf das, was ich noch werde hervorbringen können. Das heißt, Bücher, die ich im Kopf habe, Dinge, die ich sinnvoll oder notwendig finde. Damit bin ich etwas strenger und möchte meine Zeit noch besser nutzen. Ich möchte weniger unterhalten als informieren. Ich würde sehr gerne ein paar humanitäre Arbeiten weitertreiben. Und ich möchte Afghanistan noch oft besuchen.
Sabine Just