"Die Hintergründe im Stück sind den realen Ereignissen sehr ähnlich", sagte der 40-jährige Melle, der selbst Schüler am Aloisiuskolleg war, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Es sei aber weder eine Fortführung der Arbeit der Betroffenenverbände noch eine Verteidigung oder Anklage der Täter, sondern eine "ästhetische Auseinandersetzung".
"Das Stück verhandelt fiktive Konflikte, die gleichwohl typisch für die Kämpfe in der Wirklichkeit sein mögen", sagte Melle.
Melle will nicht richten, sondern erhellen
Laut Aufklärungsberichten werfen 60 Betroffene 18 Jesuiten und fünf weltlichen Mitarbeitern des Kollegs sexuelle Übergriffe und Missbrauch vor, die von den 50er bis in die 2000er Jahre hinein stattgefunden haben sollen. "Ich war vor Ort, verstehe die Konflikte genau, die Abneigung, die Verteidigung, den Hass, den Stolz, alles. Und eben auch die Ambivalenz", sagte Melle. Es sei aber nicht seine Aufgabe zu richten, sondern "das Ganze mit den oft genug undurchsichtigen Mitteln der Kunst zu erhellen, eine eigene, komplexe Perspektive auf das Geschehen zu werfen".
Die Hauptfigur im Theaterstück, ein 40-jähriger Manager, wurde wie viele Kollegsschüler einst nackt von einem Pater fotografiert. "Das ganze System, in dem man aufwuchs, steht infrage, und der Kampf um die eigene Identität und Biografie setzt ein", sagte Melle, der mit seinen Romanen "Sickster" und "3.000 Euro" zweimal für den deutschen Buchpreis nominiert wurde.
Jeder geht anders mit dem Erlebten um
Wenn 40-Jährige erkennen, dass sie als Kinder von ihrem Erzieher nackt fotografiert wurden, löse das bei dem einen sehr viel aus, bei dem anderen gar nichts, sagte Melle. Dritte würden sich ein paar Wochen lang an den Kopf fassen und es dann verdrängen. "Ein Vierter dagegen ist schon längst zerbrochen", sagte der Dramatiker. Das liege auch daran, dass sich der Blick anderer Menschen auf die Opfer ändere. "Deshalb ist es ja auch so mutig von den Betroffenen, wenn sie zu reden beginnen."
Die Täter spielten in dem Stück kaum eine Rolle, sagte der Schriftsteller. Sie würden nur immer schuldiger, da sie sich nicht äußerten. "Wie schweigende, tote Götter hängen sie über der Szenerie und haben sich eigentlich schon aus dem Staub gemacht", erklärte Melle. Die Opfer müssten alles unter sich und mit sich selbst ausmachen.
Zum aktuellen Aufarbeitungsstand von realen Missbrauchsfällen an Schulen sagte der ehemalige Aloisiuskollegschüler, die betroffenen Institutionen könnten nur dann wieder funktionieren, "wenn sie offensiv damit umgehen, es nicht nur abarbeiten, um es wegzukriegen, sondern wirklich verarbeiten". Die Einrichtungen müssten "den Schandfleck in das eigene Selbstbild integrieren", sagte Melle. "Nur so geht es."