Wolfgang Thierse zu Krisen, Reformen und Glaubwürdigkeit

"Die Kirche gehört doch nicht den Bischöfen"

Der SPD-Politiker Wolfgang Thierse ist langjähriges persönlich hinzugewähltes Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK). Im domradio.de-Interview spricht er über den aktuellen Zustand der deutschen katholischen Kirche.

 (DR)

domradio.de: Schönen Guten Tag, Herr Thierse! Wir haben heute eine Rede zur Lage von ZdK-Präsidenten Alois Glück gehört, in der es ganz eindeutige Positionen gab – zum Problem der wiederverheirateten Geschiedenen, die Freiburger Handreichung darf nicht zurückgenommen werden. Oder: die Forderung nach mehr Transparenz: Nicht die Bischöfe allein sollten darüber entscheiden, wer in den Beratungsgremien sitzt. Oder: das katholische Arbeitsrecht. Dazu haben Sie sich auch schon zu Wort gemeldet und zu einer Reform aufgerufen.

Wolfgang Thierse: Wir sehen ja, wie die bisherige Praxis bei Caritas und Diakonie in die Kritik geraten ist. Ich glaube, man darf nicht so damit umgehen, dass man nur alles verteidigt und sich ängstlich einschließt, sondern wir müssen darüber debattieren, wie das miteinander zu verwenden ist: allgemein geltende Rechte ‑ auch in der Arbeitswelt, bis hin zum Streikrecht – und der besondere Charakter von Caritas und Diakonie. Darüber müssen wir miteinander diskutieren und Lösungen finden. Und ich wünsche mir, dass das ökumenisch passiert, also dass Caritas und Diakonie, so sehr sich da die Praxis auch manchmal unterscheidet, gemeinsame Lösungen vorschlagen. Denn sonst werden am Schluss Gerichte darüber entscheiden, denn es wird ja schon prozessiert.

domradio.de: Wir erleben in der katholischen Kirche gerade intensive Diskussionen um Badewannen in Limburg, um wiederverheiratete Geschiedene – muss es nicht gelingen, zu den großen Glaubensfragen zurückzukehren und diese Diskussionen endlich abzuschließen? Betreffen diese Diskussionen überhaupt die Menschen?

Thierse: Das betrifft viele Menschen – der Fall Limburg und Bischof Tebartz-van Elst beschäftigt ganz viele Leute. Er beschädigt die Glaubwürdigkeit der Kirche außerordentlich und bringt die Kirche in eine Vertrauenskrise. Und das kann man doch nicht beiseite wischen und sagen: Jetzt sind wir wieder schön fromm und befassen uns mit unserem Glauben. Nein, es geht um Glaubwürdigkeit! Was darf ein Bischof und was nicht? Welche Konsequenzen zieht einer, der eingestandenermaßen öffentlich gelogen hat, falsche eidesstattliche Erklärungen abgegeben hat? Man stelle sich einmal vor, ein Politiker hätte das getan! Was würde mit dem passieren? Der hätte schon längst die Konsequenzen gezogen. Also allein die Vorstellung, dass Tebartz-van Elst etwa als Bischof zurückkäme, ängstigt eine Menge Leute. Und ich habe die Befürchtung – ich glaube nicht, dass ich übertreibe ‑, dass dann nicht nur Hunderte die Kirche verlassen werden, sondern Tausende und Zehntausende! Also muss man darüber reden. Und es muss in Rom bekannt sein, welche Rolle das spielt. Wir müssen endlich auch einen anderen Umgang mit den Finanzen pflegen. Warum kann ein Bischof selbstherrlich über die Finanzen verfügen? Das ist nirgendwo sonst möglich! Selbst ein Boss in einem Wirtschaftsunternehmen hat Aufsichtsräte, hat Kontrollorgane. Warum ist die Kirche da anders? Die Kirche gehört doch nicht den Bischöfen, sondern sie ist unser gemeinsames Werk als Gottes Geschenk!

domradio.de: Alois Glück hat das in seiner Rede gefordert, dass die Bischöfe nicht mehr allein ihre Kontrolleure und Beratungsgremien berufen sollten, sondern dass da demokratische Prozesse nötig sind. Das wird hier diskutiert. Nur war heute Morgen beim Bericht zur Lage kein einziger Bischof hier beim ZdK dabei – fehlt es da auch an Austausch und Kommunikation?

Thierse: Also Bischof Fürst ist dagewesen. Er sitzt jetzt noch im Saal. Er ist ja auch der Verbindungsmann zwischen Bischofskonferenz und ZdK, und ich hoffe sehr, dass das, was wir hier diskutieren und beschließen, auch der Bischofskonferenz vorgelegt werden wird, denn ich glaube schon, dass sehr viele Bischöfe wirklich auf die Laien schauen, weil sie wissen: Die Bischöfe allein sind nicht die Kirche, sondern zusammen sind wir das wandernde Volk Gottes ‑ mit unterschiedlichen Aufgaben, aber es geht nur gut, wenn wir zusammenwirken.

domradio.de: Trotzdem hört man jetzt bei der Vorbereitung des Katholikentags, die vom ZdK organisiert wird, immer wieder Missstimmung. Da werden Leute als nicht erwünscht erklärt, da gibt es Diskussionen, ob jemand auf einem Podium sitzen darf, der kirchenkritisch ist. Ist das überhaupt zeitgemäß, so miteinander zu sprechen?

Thierse: Ach, darüber würde ich mich nicht so aufregen. Das passiert immer: In der Vorbereitung von Veranstaltungen, von Ereignissen wird es immer Streit geben, wer redet mit wem, wer darf wann auftreten – da gibt es auch unterschiedliche Geschmäcker. Da muss man sich einigen, da sollte man keinen Riesenskandal draus machen. Man kann sich ärgern über diese oder jene Entscheidung, aber man sollte deshalb nicht grundsätzliche Kritik an der Kirche üben. Das passiert ja auch bei Parteien, bei Gewerkschaften, bei Verbänden, dass man vorher streitet, wie organisieren wir was, wer redet zu welchem Thema.

domradio.de: Herr Thierse, man merkt, die katholische Kirche ist Ihnen ganz persönlich eine Herzensangelegenheit. Was wünschen Sie sich für die katholische Kirche, die Ihnen so sehr am Herzen liegt?

Thierse: Ich wünsche mir, dass wir Glaubwürdigkeit zurückgewinnen ‑ nicht durch überzeugende Frömmigkeit, sondern durch überzeugende Praxis des Miteinanders in der Kirche. Dass Bischöfe sich nicht verwechseln mit ihrer Kirche, dass sie ihr Bistum nicht als Pfründe betrachten. Dass wir auch überzeugend für Gerechtigkeit und Solidarität und Freiheit in diesem Land und in der Welt eintreten. Das macht uns glaubwürdig ‑ das praktische Zeugnis der Liebe, die man in politisches Handeln, in solidarisches, soziales Handeln übersetzt.


Quelle:
DR