Vieles ist neu in diesen Frühlingstagen in Rom. In knapp einer Woche hat Papst Franziskus zunächst Äußerlichkeiten und das Umgangsklima verändert. Umarmungen, Herzlichkeit und Lachen haben den Petersplatz und die Papstbasilika erobert. Und auch die ehrfurchtgebietenden Hallen und Gänge des Vatikan, die der neue Bischof von Rom in seinen abgewetzten schwarzen Straßenschuhen mit dynamischen Schritten durcheilt, wirken plötzlich ganz anders. Ob es am Frühling liegt, der fast zeitgleich mit der Papstwahl in Rom eingezogen ist oder ein wenig auch an dem frischen Wind, den der erste Lateinamerikaner auf dem Papstthron entfacht hat: Jedenfalls erlebt man sogar die sonst oft genervt und ruppig auftretenden Römer jetzt häufig freundlich und befreit lachend.
In seiner ersten großen Predigt bei der Amtseinführungsmesse am Dienstag hat der neue Papst gezeigt, dass er nicht nur Stil und Auftreten verändern will, sondern auch die Inhalte. Er spricht nicht die formelhafte Kirchenprosa mancher Kardinäle, die Beobachter verächtlich "Vatikanesisch" nennen. Auch dogmatische Formeln und vorlesungsartige Abhandlungen über die Theologie der Kirchenväter scheinen seine Sache nicht zu sein. Stattdessen redet er ziemlich konkret, ohne ins bloß Politische zu verfallen: "Lasst uns Hüter der Schöpfung, des in die Natur hineingelegten Planes Gottes sein, Hüter des andern, der Umwelt; lassen wir nicht zu, dass Zeichen der Zerstörung und des Todes den Weg dieser unserer Welt begleiten!" Es sind Aussagen, die ohne Weiteres auch in zwei Twitter-Botschaften passen würden. Leicht zu verstehen, aber keine hohlen Phrasen.
Aber es ist noch etwas anderes neu an diesen Inhalten. Er sagt Sätze wie: "Das Sich-Kümmern, das Hüten verlangt Güte, es verlangt, mit Zärtlichkeit gelebt zu werden." Und über die Zärtlichkeit führt er aus: "Sie ist nicht etwa die Tugend des Schwachen, nein, im Gegenteil: Sie deutet auf eine Seelenstärke hin und auf die Fähigkeit zu wahrer Öffnung für den anderen, zu Liebe." Solche Sätze hat man auf dem Petersplatz noch nie gehört. Es sind Begriffe und Bilder aus der Befreiungstheologie Lateinamerikas. "Zärtlichkeit und Kraft. Franz von Assisi, mit den Augen der Armen gesehen", lautete der Titel eines Buches des von Joseph Ratzinger zuerst geförderten und später gemaßregelten Befreiungstheologen Leonardo Boff. Nun ist die poetische Prosa der Befreiungstheologen mit mehr als 30 Jahren Verzögerung durch den Haupteingang in Rom eingezogen.
Es ist freilich nicht die gewalttätig-totalitäre Variante dieser Theologie, wie sie in Kuba, Nicaragua, El Salvador und Kolumbien viele Menschen das Leben gekostet hat. Es ist die leise, menschenfreundliche Spielart, die zuerst auf die innere Umkehr des Einzelnen setzt. Wie schon in der Frühzeit der franziskanischen Bewegung, so gab es auch in der Befreiungstheologie des 20. Jahrhunderts zwei Flügel. Der sanftere davon hat nun einen argentinischen Jesuiten bis nach Rom auf den Stuhl Petri getragen.