Deutschland verzeichne eine "Erosion des katholischen Glaubens", beklagte Franziskus am Freitag bei der Abschlussaudienz zum Ad-limina-Besuch der 67 deutschen Bischöfe im Vatikan. Er verwies auf den starken Rückgang des Gottesdienstbesuchs und des sakramentalen Lebens sowie den Mangel an Priesterberufungen.
Davor dürfe die Kirche jedoch weder resignieren, noch versuchen, "aus dem Strandgut der 'guten alten Zeit' etwas zu rekonstruieren, was gestern war", so der Papst in seiner den Bischöfen in schriftlicher Form überreichten Rede. Ebenso wenig dürfe sich die Kirche auf ihre Organisation und Verwaltungsstrukturen zurückziehen. Franziskus kritisierte eine "fortschreitende Institutionalisierung" und "übertriebene Zentralisierung" der Kirche in Deutschland. Diese Entwicklung schade der missionarischen Dynamik. Wörtlich formulierte der Papst: "Die Kirche ist kein geschlossenes System, das ständig um die gleichen Fragen und Rätsel kreist. Die Kirche ist lebendig, sie stellt sich den Menschen vor Ort, sie kann in Unruhe versetzen und anregen." Das Gesicht der Kirche dürfe nicht erstarren.
"Das Gebot der Stunde ist eine pastorale Neuausrichtung", so der Papst. Die Seelsorge müsse in allen Bereichen "expansiver und offener" werden, die Strukturen stärker auf die Verkündigung ausgerichtet sein. Der Papst räumte ein, es sei sehr schwer, verweltlichte Menschen zu erreichen. Aber Gott handele immer zuerst, es liege bei ihm, die Herzen der Menschen zu berühren.
Glaubensleben fördern
Franziskus rief die Bischöfe auf, die katholische Lehre in Deutschland zu bewahren und das Glaubensleben zu fördern. Dies betreffe eine Neubelebung des Sakramentenempfangs in den Gemeinden, insbesondere Beichte, Firmung, Ehesakrament und Eucharistie.
Voraussetzung dafür sei die Anwesenheit von Priestern. "Die wertvolle Mithilfe von Laienchristen im Leben der Gemeinden, vor allem dort, wo geistliche Berufungen schmerzlich fehlen, darf nicht zum Ersatz des priesterlichen Dienstes werden oder ihn sogar als optional erscheinen lassen. Ohne Priester gibt es keine Eucharistie", stellte der Papst klar.
Nachdrücklich mahnte er die Bischöfe, das katholische Profil kirchlicher Bildungseinrichtungen zu wahren. Katholische Fakultäten an staatlichen Universitäten seien eine Chance zum Dialog mit der Gesellschaft. Abschließend rief Franziskus die Bischöfe auf, den Lebensschutz in Deutschland entschlossen zu vertreten. "Die Kirche darf nie müde werden, Anwältin des Lebens zu sein und darf keine Abstriche darin machen, dass das menschliche Leben von der Empfängnis bis zum natürlichen Tod uneingeschränkt zu schützen ist."
Kardinal Marx dankt Papst für Dezentralisierung der Kirche
Während der Audienz dankten die deutschen Bischöfe Franziskus für seine Botschaften für eine stärkere Dezentralisierung der katholischen Kirche. Dies erfordere die Verschiedenheit der kulturellen Situation in den einzelnen Teilen der globalisierten Welt, sagte der Vorsitzende der Deutsche Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx. "Eine stärker synodale Kirche würde die Chance bieten, das Verhältnis von zentraler Steuerung der Kirche durch den Nachfolger Petri einerseits und angemessenen Formen dezentraler Festlegungen und Vorgangsweisen neu zu justieren."
Der Primat des Papstes sei im Zeitalter der Globalisierung von großer Bedeutung, fügte Marx hinzu. Dabei müsse die Gemeinschaft der Kirche ein untrennbares Zu- und Miteinander von Orts- und Universalkirche sein. "Keine Institution dieser Welt kann wohl so nachdrücklich den Herausforderungen der Globalisierung entsprechen wie die katholische Kirche und ihr Bischof von Rom", so der Kardinal.
Mit Blick auf die deutsche Kirche hob der Münchner Erzbischof die "schmerzliche" Erfahrung des Missbrauchsskandals hervor. Die Bischöfe hätten nach und nach gelernt, die Perspektive der Opfer zum Ausgangspunkt ihres Handelns zu machen. "Wir haben viele Schritte zur Aufarbeitung der Vergangenheit getan und können jetzt in einem nächsten Schritt den umfassenden Schutz von Kindern und Jugendlichen in den Mittelpunkt rücken."
Marx erinnerte an den Dialogprozess, der aus der Erfahrung des Missbrauchsskandals erwachsen sei. Dabei sei man schwierigen Themen nicht ausgewichen. Eines davon sei der kirchliche Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen, ein Thema das im Mittelpunkt der Familiensynode im Oktober stand. Dazu bereiten die deutschen Bischöfe derzeit eine Verlautbarung vor.
Marx zufrieden über Ad-limina-Besuch und Papstgespräch
In einer anschließenden Pressekonferenz zeigt sich Marx zufrieden über den Verlauf des Ad-limina-Besuchs und die Begegnung mit dem Papst. Seine Mitbischöfe und er kehrten nach einer Woche ermutigt und gestärkt in ihre Diözesen zurück, sagte Marx vor Journalisten im Vatikan. Sie hätten mit Franziskus und mit den Kurienbehörden eine Vielzahl von Themen, Fragen, Herausforderungen und auch von Problemen der Kirche behandelt. Ausdrücklich habe er dem Papst für die jüngste Bischofssynode und für die Anstöße zu einer synodalen Kirche mit einer stärkeren Dezentralisierung gedankt, so der Münchener Kardinal.
Bei den Besuchen in den Kurienbehörden sei es etwa um die Entwicklungen der Gemeinden, um das kirchliche Leben, die sozial-karitative Arbeit etwa für Flüchtlinge, aber auch um Theologie und theologische Fakultäten, um Priesterberufungen, Ökumene, das Verhältnis zum Islam und die Missbrauchsskandale gegangen. "Ich hoffe, dass der Papst kritisch hinschaut, auch wo unsere Defizite sind", betonte der Kardinal. Nur so könne sich der Weg einer missionarischen Kirche weiterentwickeln.
Als "starkes Signal" wertete Marx das Geschenk eines Kelches an die evangelisch-lutherische Gemeinde am vergangenen Sonntag. Dieses habe stärker auf eine Einheit hingezielt als seine allgemeinen pastoralen Bemerkungen zu einer möglichen Abendmahlsgemeinschaft. Seine Äußerungen dazu seien "nicht umwerfend und neu und auch nicht überraschend" gewesen.
Einladung nach Deutschland
Mit Blick auf das am 8. Dezember beginnenden Heilige Jahr habe der Papst insbesondere dessen Feier in den einzelnen Ortskirchen und Diözesen angesprochen. Aber natürlich werde Rom weiterhin und trotz der derzeit angespannten Lage ein bevorzugtes Ziel der Jubiläums-Pilger sein, so Marx.
Bei dem Treffen mit Franziskus lud Marx den Papst auch zu einem Besuch in Deutschland ein. Er hoffe, dass diese Einladung "auf einen guten Boden" falle, so Marx. Zu einem möglichen Termin wollte er sich nicht äußern. Es könne sich jedoch nicht vorstellen, dass eine solche Visite 2017 im Jahr des 500-jährigen Reformationsgedenken in Fragen komme.