Katholische Nachrichten-Agentur (KNA): Herr Kardinal, sind inzwischen alle Umzugskartons ausgepackt?
Woelki: Nein, es steht noch einiges im Flur, und meine Bücher sind noch nicht richtig eingeräumt. Auch die Arbeiten hier im Haus dauern an. Von daher wird es noch ein bisschen dauern, bis ich - zumindest von der Wohnsituation her - ganz angekommen bin.
KNA: Aber Ihr Terminkalender ist sicher schon komplett. Fühlen Sie sich auch, wie ein Drittel der Deutschen, unter ständigem Zeitdruck?
Woelki: Gerade in diesen adventlichen Tagen hetze ich manchmal von einem Termin zum nächsten. Aber ich versuche, mir morgens und abends Zeiten der Stille zu nehmen, um mich innerlich auf Weihnachten vorzubereiten.
KNA: Tun Sie das vor dem Einschlafen?
Woelki: Ich versuche, am Abend immer meine Gewissenserforschung zu halten. Ich wähle dafür bewusst die Kapelle.
KNA: Was ist derzeit die größte "Baustelle" im Erzbistum Köln?
Woelki: Sicherlich die Situation der vielen Flüchtlinge. Hier bin ich sehr dankbar für das Engagement von Caritas und Gemeinden. Das unterstützen wir mit unserer "Aktion Neue Nachbarn". Eine weitere Herausforderung für mich ist es, weiter die Diözese kennenzulernen. Zudem werden wir demnächst mit den verschiedenen Gremien über neue Schwerpunkte wie Pastoralplan und Personalverteilung beraten. Insgesamt müssen wir sehen, wie wir den Glauben wieder stärker in die Gesellschaft hinaustragen können. Denn als Kirche sind wir zu den Menschen gesandt.
KNA: Die Einnahmen aus der Kirchensteuer steigen, während die Kirchen leerer werden, selbst in Köln. Hat die deutsche Kirche zu viel Geld und zu wenig lebendigen Glauben?
Woelki: Mit der Kirchensteuer sind wir tatsächlich gut ausgestattet. Auch dank guter Konjunktur steigen derzeit die Einnahmen. Wir nutzen diese Mittel für die Menschen, das zeigt etwa unser Engagement für Flüchtlinge. Darüber hinaus ist es dringend geboten, den Glauben zu verlebendigen. Ich glaube, das große Engagement des Erzbistums Köln in der Flüchtlingshilfe gibt uns gute Gelegenheit, den Glauben neu zu entdecken und zu vertiefen. Papst Franziskus will, dass wir uns von den Armen evangelisieren lassen. Man darf auch nicht vergessen: Als einer der größten Arbeitgeber haben wir Verpflichtungen für die Alters- und Sozialvorsorge unserer rund 50.000 Mitarbeiter.
"Möglichkeiten der Ehe-Annullierung nutzen"
KNA: Die von Papst Franziskus angestoßene Umfrage zur Familiensynode zeigt, dass die meisten Katholiken mit der kirchlichen Lehre über Ehe, Familie und Sexualität hadern. Wie kann es weitergehen angesichts dieser Kluft zwischen Amtskirche und Volk?
Woelki: Dass Partnerschaft und Sexualität im Lauf der Geschichte immer differenziert gesehen und auch unterschiedlich gelebt wurde, gehört zu unserem Menschsein. Der Kirche und auch der Synode jetzt geht es um grundlegende Fragen wie die Stärkung der Familie und der sakramentalen Ehe. Das ist ein wichtiger Unterschied zu den vielen Lebensgemeinschaften, die sich heute in einer pluralen Gesellschaft gebildet haben.
KNA: Der Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen birgt ebenfalls Konfliktstoff. Wo sehen Sie Lösungswege?
Woelki: Der Papst hat jetzt gesagt, wir sollen die Frage nicht nur auf den Sakramentenempfang verengen. Das müssen wir ernst nehmen. Der Umgang mit Wiederverheirateten ist eine wichtige pastorale Herausforderung für uns. Papst Benedikt XVI. hat schon darauf aufmerksam gemacht, dass die Betroffenen natürlich zu Kirche und Gemeinde gehören und hier Aufgaben übernehmen können. Überdies sollten wir die Möglichkeiten, die uns das kirchliche Recht etwa mit dem Instrument der Ehe-Annullierung bietet, stärker in den Vordergrund stellen.
KNA: Steht die Kirche vor einer Zerreißprobe?
Woelki: Ich würde eher von einem Suchprozess sprechen. Für mich macht es ein Stück Lebendigkeit der Kirche aus, dass kontrovers um einen Weg gerungen wird. Ich bin sicher, dass am Ende ein Ergebnis stehen wird, das die Einheit wahrt und nicht zu einer Spaltung führt.
KNA: Die Frage, wie Sterbehilfe künftig geregelt werden soll, spaltet derzeit sowohl Christen wie Nicht-Christen. Wie stehen Sie dazu?
Woelki: Es ist ganz klar, dass das Leben für uns als Christen - katholisch wie evangelisch - eine Gabe Gottes ist - und damit auch eine Aufgabe. Dazu gehört auch das Sterben. Jeder hat das Recht auf einen menschenwürdigen Tod. Daher bin ich dankbar, dass jetzt auch in der Politik stärker ins Bewusstsein rückt, dass wir Palliativmedizin und Hospizarbeit ausbauen müssen. Ich glaube, dass vielen Menschen die Angst vor dem Sterben genommen werden kann, wenn sie die Möglichkeiten von Schmerzmedizin und persönlicher Begleitung kennen und erfahren.
KNA: Wird die Kirche bei solchen ethischen Diskussionen heute gehört?
Woelki: Nach meiner Erfahrung, ja. Auch bin ich froh, dass die beiden Kirchen in ethischen Fragen - wenn auch leider nicht in allen - beieinander sind und auch gemeinsam wahrgenommen werden. Das sollten wir viel intensiver nach außen vertreten.
KNA: Eine Frage an den Caritas-Bischof in Deutschland: Wie steht es nach dem jüngsten Urteil des Bundesverfassungsgerichts um eine Liberalisierung des kirchlichen Arbeitsrechtes?
Woelki: Das Urteil hat für die Kirchen Rechtssicherheit gebracht. Aber es geht nicht um ein kirchliches Sonderrecht, sondern schützt das Selbstbestimmungsrecht aller weltanschaulichen Gemeinschaften in einem neutralen Staat.
Kirchliches Arbeitsrecht: Mehr auf den Einzelfall schauen
KNA: Was heißt das konkret für kirchliche Angestellte?
Woelki: Nicht jeder, der zivilrechtlich wieder geheiratet hat, wird von der Kirche entlassen. Das ist Schwarz-Weiß-Malerei, die der Realität nicht entspricht. Wir Bischöfe werden jetzt erneut das kirchliche Arbeitsrecht in den Blick nehmen. Wir werden noch mehr als bisher auf den Einzelfall schauen. In vielen Bereichen von Caritas und Kirche werden Mitarbeiter nicht den Loyalitäts-Obliegenheiten der Kirche entsprechen müssen. Frauen und Männer in der Verkündigung müssen aber nach den Lehren der Kirche leben, um ihren Auftrag authentisch zu erfüllen.
KNA: Wie auch in Berlin lebt im Erzbistum Köln eine große Zahl von Muslimen. Wie kann man den Frieden zwischen den Religionen fördern - auch angesichts der vielen militanten Salafisten?
Woelki: Christentum und Islam verbindet der Glaube an einen barmherzigen Gott. Gewalt ist nie religiös zu rechtfertigen. Pervertierungen gab es leider sowohl in der Geschichte des Christentums als auch des Islams. Diese Auswüchse dürfen aber nicht mit der Religion gleichgesetzt werden. Es ist nicht in Ordnung, angesichts von Gewaltexzessen etwa der Terrormiliz "Islamischer Staat" Muslime pauschal zu diskriminieren. Andererseits haben militante Salafisten in einem pluralen Rechtsstaat nichts zu suchen. Dagegen gilt es mit rechtsstaatlichen Mitteln vorzugehen.
KNA: Umgekehrt machen sich auch Gegenbewegungen wie "Hooligans gegen Salafisten" oder "Patrioten Europas gegen Islamisierung des Abendlandes" (Pegida) diese Stimmung zunutze.
Woelki: Solche "Retter des Abendlandes" brauchen wir nicht. Wir müssen diese Herausforderungen mit rechtsstaatlichen Mitteln lösen. Es ist gut, dass zur Gegendemonstration am Montag Parteien, gesellschaftliche Gruppen und auch die Kirche aufgerufen haben.
Das Interview führten Sabine Kleyboldt und Andreas Otto.