Klaus Thomas trieb Zeit seines Lebens vor allem eine Frage um: Warum nehmen sich Menschen das Leben? Er war überzeugt: "Man kann, ja man muss Selbstmörder aufhalten." Der Freitod war für ihn "Ausdruck einer Krankheit, die heilbar ist." Am 31. Januar wäre er 100 Jahre alt geworden.
Er verkörperte "die seltene Personalunion von Arzt, Pädagogen, Psychologen und Theologen", wie es im Vorwort eines seiner vielen Bücher heißt, die ihn nach vorne trieb. Bis heute hat er mit der von ihm geschaffenen Telefonseelsorge unzähligen Menschen mit Freitodabsicht das Leben gerettet.
Mit Telefonseelsorge Leben retten
Der Forscher und evangelische Pfarrer, den die "Berliner Morgenpost" einst als "Wissenschaftler zwischen pfingstlicher Erleuchtung und medizinischer Pragmatik" beschrieb, beschäftigte sich gezielt mit der Frage, wie ein Suizid verhindert werden kann. Das Hauptsymptom "aller Verzweifelten und Lebensmüden, der Depressiven wie der Neurotiker, ist ihre Einsamkeit beziehungsweise ihre Kontaktstörung", schrieb er in seinem Werk "Handbuch der Selbstmordverhütung". Suizide zu verhindern bedeute, einem Menschen in Not erfahren zu lassen, "dass er nicht allein ist."
Dieses Gefühl wollte er Verzweifelten vermitteln, als er 1956 die Telefonseelsorge nach Deutschland holte. Die Idee dieser Beratung war nicht neu: Bereits 1895 richtete in New York der Pfarrer Harry Warren die weltweit erste Telefonseelsorge und Lebensmüdenberatung ein. In Europa etablierte sie sich aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg. In London schaltete 1953 ein Pfarrer namens West eine Anzeige und schrieb: "Bevor Sie sich das Leben nehmen, rufen Sie mich an!"
Nach Auffassung von Thomas hieß Hilfe für Suizidgefährdete zuallererst: "die Gefährdung rechtzeitig erkennen." Die ersten 20 Telefonseelsorger warb er in der Predigerschule "Paulinum" in Ost-Berlin an, wo der Theologe einen Lehrauftrag hatte.
Seelsorge betreiben
Im Zentrum der Ausbildung stand für den Gründer eine "zentral-biblische, menschlich warme und verstehende Seelsorge." Thomas rief die "Ärztliche Lebensmüdenbetreuung Berlin" ins Leben, zu der die Telefonberatung gehörte. Bedarf sah er zunächst nur in seiner Heimat West-Berlin: Die Stadt habe "die höchste Selbstmordziffer der Welt." Thomas vermutete als Ursache die hohe Zahl alter Menschen und die Isolierung der Stadt durch den Mauerbau im Jahr 1961.
Auch als Wissenschaftler ist Thomas Theologe geblieben. Das ist an vielen Stellen seiner Werke herauszulesen. Während des Zweiten Weltkriegs war er Gemeinde- und Studentenpfarrer in Berlin, danach Klinikpfarrer im hessischen Marburg. In seinem Buch "Warum weiter leben?" schrieb er zur Aufgabe der Seelsorge, sie könne "Lebensmüden" den Glauben daran wecken, "dass Gott das Leben nach einem gültigen Plan führt, den wir nicht immer und nicht gleich verstehen." Gleichzeitig beschäftigte sich der Seelenmediziner auch mit den psychischen Problemen von Geistlichen.
In den ersten viereinhalb Jahren nach Eröffnung seiner Beratungsstelle waren unter den Hilfesuchenden zwölf Prozent kirchliche Amtsträger. "Von den 85 Verheirateten, fast ausschließlich Pfarrer und Pfarrfrauen, muss 67mal von einer Ehekatastrophe gesprochen werden", notierte der Thomas und berichtete von "prüde erzogenen" Pfarrern oder Geistlichen mit homosexueller Neigung oder "krank machenden Berufskonflikten."
Lebensqualität verbessern
Mit den Daten aus der "Lebensmüdenbetreuung" hat der Arzt, der zweimal verheiratet war, die Suizidforschung mit vorangetrieben. Innerhalb von sechs Jahren seien 10.000 Ratsuchende zu einer Aussprache gekommen, bilanzierte er. 30.000 weitere hatten in dieser Zeit die Telefonseelsorge kontaktiert.
Klaus Thomas war außerdem Hauptverbreiter des Autogenen Trainings, einer Entspannungstechnik, mit der seiner Ansicht nach die Lebensqualität verbessert werden kann. Er starb 1992 und wurde in Berlin-Zehlendorf begraben. Es gab bereits zwei Versuche, sein Grab als Ehrengrabstätte aufzuwerten. Bislang vergeblich.