domradio.de: Haben Sie diese Plakate oder Spots von Pro NRW schon gesehen?
Schallenberg: Nein, ich muss gestehen, ich hab das noch nicht gesehen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass man das allen Ernstes in die Öffentlichkeit bringt.
domradio.de: Jetzt wird es aber allen Ernstes in die Öffentlichkeit getragen. "Wut im Bauch. Dann lass es raus" ist eine dieser Parolen. Wenn Sie sowas hören, was empfinden Sie dabei, am Anfang des 21. Jahrhunderts?
Schallenberg: Da denke ich, dass an die allerniedrigsten Instinkte appelliert wird und irgendwelche Emotionen geschürt werden und dass das in keiner Weise einem anspruchsvollen Niveau der Diskussion um Migrationspolitik und Eingliederungspolitik und Asylpolitik entspricht. Das müsste man ja diskutieren, nicht irgendwelche dumpfen Emotionen schüren lassen.
domradio.de: Aber diese Parolen werden ja ach gemacht, weil man damit eine Zielgruppe erreichen will. Es scheint ja auch Empfänger dafür zu geben. Was sagt das allgemein über die Gesellschaft aus und über das vorherrschende Bild von Asylpolitik bei uns?
Schallenberg: Die Gefühlslage der Bevölkerung ist wahrscheinlich sehr diffus. Man muss natürlich auch bedenken, dass dieses ja eine in Nordrhein-Westfalen ansässige Initiative ist, die mit den Klischees einer Spaltung beispielsweise des Ruhrgebiets spielt, also eine Nord- Südspaltung des Ruhrgebiets. Ich selber habe das ja in den sieben Jahren in Dortmund, als ich damals im Sozialinstitut tätig war, hautnah miterlebt. Da ist schon im Ruhrgebiet zum Teil sehr deutlich eine Ghettoisierung bestimmter Wohngebiete, und wenn die angesprochen wird, dann sind natürlich solche Parolen auf fruchtbaren Acker gefallen. Da muss natürlich dann die Politik hinschauen und sagen, was wollen wir gegen eine solche Ghettoisierung von Wohngebieten und von Bevölkerungsgruppen unternehmen? Das gleiche gilt übrigens wahrscheinlich auch für andere großstädtische Ballungsräume, aber hier geht es ja jetzt um die sogenannte Pro-NRW-Initiative, die mit einem gewissen Bild von Überfremdung, angeblicherweise, in Nordrhein-Westfalen spielt.
domradio.de: Das heißt, Sie sagen, man muss das Problem wahrnehmen und auch als gegeben voraussetzen, aber andere Schlüsse draus ziehen und eher in die positive Richtung drehen.
Schallenberg: Ganz genau. Das geschieht ja auch durch die Politik. Insofern wäre die Politik gut beraten, offensiv gegen solche Parolen und solche Demagogie anzugehen und darauf hinzuweisen, was geschieht im ganz kleinen Bereich: in Stadtviertelbetreuung, in Schularbeitsbetreuung, Hausaufgabenhilfen, in Hinsicht auf die finanzielle Förderung von kinderreichen Familien, in Hinsicht auf den dualen Arbeitsmarkt, wo ja Erhebliches geleistet wird, auch für Familien ohne einen deutschen Sprachhintergrund. Diese Dinge müssen alle thematisiert werden. Dann wird natürlich die Frage auch kommen, was kostet das und wer soll das bezahlen, die übliche Frage. Da muss man drauf hinweisen, dass wir das wollen bzw. etwas rustikaler formuliert, dass wir das zu wollen haben, da wir eine inklusive Gesellschaft haben wollen. Man kann auch an dieser Stelle, wenn schon das Stichwort "inklusive Gesellschaft" fällt, noch einmal darauf verweisen, dass auch die Kirchen hierzu ihren Beitrag geleistet haben und leisten. Etwa, wenn wir an die ökumenische Sozialinitiative denken, wo dieses Stichwort "Inklusion" ja eine große Rolle spielt. Das ist das Stichwort, was früher unter dem Namen Gerechtigkeit zu verstehen war und was wir heute in den Vordergrund stellen, um möglichst viele, möglichst alle mit in dieses Boot der Gesellschaft zu bringen.
domradio.de: Wenn Sie die Position der Kirchen schon ansprechen: Was wären die christlichen Perspektiven vor der Europawahl? Welche Fragen würde man da stellen?
Schallenberg: Da würden wir verweisen, dass Europa eine Gemeinschaft der Solidarität ist, nicht einfach nur eine Gemeinschaft des Zugewinnes. Dann würden wir drauf verweisen, dass die Stärkeren auch die Schwächeren, speziell auch schwächere Mitgliedsländer, ziehen und auch dafür in Haftung treten. Das heißt natürlich umgekehrt auch höhere Verantwortungsbereiche anzusprechen, bei denen, die in den letzten Jahren ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Griechenland tritt gerade etwas in den Hintergrund, aber Frankreich macht da zum Beispiel größere Sorge. All diese Dinge müssen angesprochen werden, dass wir keine Nationalstaatspolitik mehr betreiben wie vor hundert Jahren, sondern dass wir eine Europapolitik betreiben. Dann kommt natürlich die nächste Frage um die Ecke: Was ist mit einem Zusammenwachsen der Europäischen Union als Sozialunion? Wollen wir gemeinsame, sozialstaatliche Richtlinien, das kostet viel Geld, da sind unterschiedliche Mentalitäten und geschichtlich gewachsene Zustände in den einzelnen europäischen Staaten. Aber Europa ist nicht einfach nur eine Gemeinschaft, in der einige abkassieren und die anderen machen die Arbeiten.
Das Gespräch führte Matthias Friebe.