Jon Fosse hat über das Schreiben zum Glauben gefunden

Kunst hält den spirituellen Geist in der Gesellschaft lebendig

Der Literaturnobelpreisträger Jon Fosse ist seit 2013 Katholik. Die Suche nach einer Sprache für das Unaussprechliche spielt in seinen Texten eine wichtige Rolle. In diesem Jahr bekommt er den Ludwig-Mülheims-Theaterpreis.

Diakon Oetterer zeichnet Jon Fosse das Aschenkreuz auf die Stirn / © Beatrice Tomasetti (DR)
Diakon Oetterer zeichnet Jon Fosse das Aschenkreuz auf die Stirn / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Kann eine Stille sprechen? Kann es so still sein, dass man eine Stille anfassen könnte, wie Ihr Ich-Erzähler in dem Buch “Ein Leuchten” es empfindet?

Jon Fosse (Literaturnobelpreisträger und Ludwig-Mülheims-Theaterpreisträger 2025): Natürlich kann Stille nicht sprechen. Es war der Trappist und Mystiker Thomas Merton, der sagte: "Wenn du die Stimme Gottes hören willst, musst du auf die Stille hören". 

Gott spricht durch die Stille. Wenn du die Gegenwart Gottes erfährst, ist das eine stille Gegenwart. Die Erfahrung habe ich gemacht. Wenn ich schreibe, versuche ich ein Niveau der Stille zu erreichen, wo dann etwas zu mir spricht. Dann kann ich schreiben.

DOMRADIO.DE: Sie haben auch mal gesagt, das Schreiben habe Sie zu einem religiösen Menschen gemacht. Wie ist das geschehen?

Fosse: Vor vielen Jahren hatte ich Angst, das Wort Gott zu benutzen, denn wenn du es benutzt, wirst du meistens missverstanden. Menschen haben so ihre Vorstellungen von Gott, die meinen dies und das, sie haben ihre eigenen Ideen. Aber wie können sie an Gott glauben, wenn sie ganz bestimmte Bilder von Gott im Kopf haben? Dann glauben sie doch an diese Bilder und nicht an Gott. 

Als ich noch jung war, wurden mir bestimmte Bilder von Gott durch die Kirche vermittelt und an diesen Gott habe ich nicht geglaubt. Ich sagte dann, ich bin ein Atheist, ich glaube nicht an Gott. Gott steht außerhalb aller Kategorien, außerhalb von Raum und Zeit, außerhalb von allen Kausalitäten. Nah ist Gott und schwer zu fassen. 

DOMRADIO.DE: Und das Gebet? In Ihrem Roman “Ich ist ein anderer” spielt das Gebet eine wichtige Rolle, das Vaterunser, das Ave Maria. Und manche Texte lesen sich ja auch wie Psalmen. Was unterscheidet ein Gedicht von einem Gebet?

Fosse: Es hatte viel mit meinem Schreiben zu tun, dass ich meinen Atheismus hinter mir gelassen habe. Ich kann gar nicht genau sagen, wie das passiert ist. Ich setzte mich hin, fing an zu schreiben, und dann geschah es. Ich wusste nicht, woher es kam und ich konnte es mir auch nicht erklären. Damit öffnete sich für mich ein neues Feld – eine neue spirituelle Weite.

Vor langer Zeit habe ich einmal in einem Interview gesagt: "Schreiben ist wie Beten". Danach dachte ich, so etwas zu sagen, sei dumm und nicht möglich. Aber dann habe ich den gleichen Gedanken bei Kafka gelesen: Schreiben ist eine Form des Gebets.

DOMRADIO.DE: Sie haben gerade auch gesagt, wenn Sie schreiben, hätten Sie das Gefühl, dass das da jemand mit Ihnen spricht, dass etwas anderes Sie beeinflusst. 

Fosse: Natürlich bin das immer ich, der schreibt, das ist meine Schreibtechnik, das ist meine Sprache, meine Stimme, das bin ich. Aber ab einem gewissen Punkt - sagen wir, ich habe zehn Seiten geschrieben - dann komme ich an einem Punkt, wo ich das Gefühl bekomme, dass das, was ich schreiben werde, schon geschrieben worden ist. Das ist nicht in mir, das ist außerhalb, irgendwo außerhalb von mir. Und dann höre ich darauf und schreibe es auf, bevor es wieder verschwindet. 

In gewisser Weise muss ich mir selbst entkommen, wenn ich schreibe. Ich gehe dann ins Unbekannte und kehre danach zu mir zurück. Die Möglichkeit schreiben zu können, ist für mich ein Geschenk. 

DOMRADIO.DE: Noch mal zu Ihrem Roman “Ich ist ein anderer”. Der Künstler in ihrem Roman kann seine Kunst überhaupt praktizieren oder ausüben, weil es ihm die Religion ermöglicht, das zu tun. Auch kann er mit seiner verstorbenen Frau sprechen. Glauben Sie, dass es möglich ist, mit Toten zu sprechen können?

Fosse: Ich bin in einem Land mit protestantischer Tradition aufgewachsen. Und da hat man eine große Distanz zwischen den Menschen hier und den Menschen im Jenseits, in der anderen Welt. In der katholischen Welt ist das anders, da gibt es die Heiligen, zu denen man beten kann, es gibt dort viele Heilige, die im Himmel sind.

Aber das sind ja nicht nur die Menschen, die der Vatikan heiliggesprochen hat, ich kann zu allen Verstorbenen eine Beziehung über das Gebet aufnehmen. Das ist ganz ähnlich wie bei meinen Dialogen in meinen Büchern. In dem Buch “Ich ist ein anderer” führt Asle einen Dialog mit der verstorbenen Ales.  

DOMRADIO.DE: Sie sind der katholischen Kirche beigetreten. Was bedeutet denn Kirche für Sie, speziell die katholische Kirche? 

Fosse: Mit der Kirche, in der ich aufgewachsen bin, war ich überhaupt nicht einverstanden. Das, was sie sagten und was sie machten, hielt ich für komplett dumm. Das war in den sechziger Jahren in Norwegen. Seitdem hat sich viel in der norwegischen Kirche geändert. 

Mit 16 Jahren bin ich aus der Kirche ausgetreten. Ich habe mich für einen Atheisten gehalten. Ob ich das war? Damals musste man sich aber irgendwie äußern und identifizieren. Also sagte ich, ich sei ein Atheist und Marxist. Dann habe ich begonnen, Gitarre zu spielen, zu malen und zu schreiben. Ich fühlte mich der Kunst verbunden, obwohl ich damals kein Künstler war. Ich war ein miserable Musiker, Maler und Schriftsteller, aber ich fühlte mich der Kunst sehr verbunden.

In dieser Verbundenheit zur Kunst ist viel Spiritualität enthalten. Bei einem Künstlertreffen in einer Kirche meinte der Priester: "Die Künstler brauchen die Kirche nicht, aber die Kirche brauche die Künstler". Darüber musste ich viel nachdenken. Gute Kunst hält den spirituellen Geist in der Gesellschaft lebendig. Und jede Gesellschaft braucht ein gewisses spirituelles Niveau.

DOMRADIO.DE: Was bedeutet es Ihnen, in Köln zu sein?

Fosse: Mit 16 war ich das erste Mal in Köln – damals auf einer Interrail-Reise durch Deutschland. Ich besuchte den Kölner Dom, was mich tief beeindruckte. Später kam ich mehrfach wegen Theaterproduktionen hierher. Jetzt wieder hier zu sein, freut mich sehr.

DOMRADIO.DE: Köln ist eine katholische Metropole. Hier sind sehr viel Katholiken. Das ist was anderes als in Norwegen. Da gibt es nur wenige Katholiken.

Fosse: Ja, wir sind in Norwegen tatsächlich nur eine kleine Gemeinschaft. Die meisten norwegischen Katholiken sind Konvertiten, so wie ich. Das gilt für ganz Skandinavien. Daneben gibt es viele katholische Einwanderer, vor allem aus Polen. Ich schätze, dass es im engeren Sinne nur etwa 3.000 norwegische Katholiken gibt. 

DOMRADIO.DE: Wenn Sie den Gottesdienst besuchen, wenn Sie eine Messe besuchen, was bedeutet das für Sie? 

Fosse: Sehr viel. Ich bin seit etwa 15 Jahren Katholik. Besonders am Anfang hat mir die Heilige Messe enorm viel gegeben. Die Eucharistie ist der Kern des Glaubens – und für mich ist es besonders wichtig, sie gemeinsam mit anderen zu feiern, nicht allein. 

In Norwegen ist es fast ein Akt der Rebellion, zum Katholizismus zu konvertieren. Mir war es immer wichtig, das nicht zu verstecken, sondern offen zu zeigen. Deshalb habe ich einen Text geschrieben, in der der Hauptprotagonist katholisch und gläubig ist. Ich dachte, das Buch würde auf Ablehnung stoßen und schlechte Kritiken bekommen. Doch das Gegenteil war der Fall – in Norwegen und darüber hinaus. 

Unser Bischof in Trondheim, Erik Valden, ein sehr guter Mann, schrieb mir, dass mein Roman auf große Zustimmung gestoßen sei. Er sieht das als Zeichen dafür, dass wir in einer post-säkularen Zeit leben und auf dem Weg zu etwas Neuem sind.

DOMRADIO.DE: Intellektuelle Menschen könnten sagen, die Katholiken glauben, dass man ein bisschen Brot und ein bisschen Wein in Fleisch und Blut verwandeln kann. Sind Sie denn bescheuert? 

Fosse: Das ist ja auch nicht einfach zu erklären. Die Eucharistie, die Wandlung funktioniert – aber wie sie funktioniert, das kann man nicht erklären. Es ist ein Mysterium, das Mysterium des Glaubens. Wir wissen nicht, was es ist. Als ich mich entschloss,  katholisch zu werden, war mein Lehrer ein Dominikaner und der zeigte in einer kleinen Kirche auf den Tabernakel und dann sagte er: "Da ist etwas drin". 

DOMRADIO.DE: Ihr neuester Roman “Ein Leuchten” erzählt die Geschichte eines Mannes, der sich in einem dunklen, verschneiten Wald verirrt hat. Sind wir nicht alle in dieser Dunkelheit gefangen? Was tröstet Sie? Was tröstet uns? 

Fosse: Das hängt immer davon ab, mit wem Sie sprechen. Für mich ist die Kunst sehr wichtig. Ich denke, viele Menschen finden Trost in der Kunst. Ich habe eine sehr verinnerlichte Beziehung zum Glauben. Ich möchte es nicht Mystizismus nennen, viel eher ist es mystisch. Die Mystik hat in der katholischen Kirche eine lange Tradition – die ist noch viel älter als in der protestantischen Kirche.

DOMRADIO.DE: Können wir der Stille durch die Sprache entfliehen. Oder macht uns die Welt nicht sprachlos?

Fosse: Sprache trennt uns von Gott und Sprache verbindet uns mit Gott. Im christlichen Glauben gibt es viel Paradoxes. In meinen Texten gibt es neben der Dunkelheit vieles, was leuchtet. Und es geht um Frieden, um Versöhnung – am Ende geht es immer um Frieden.  

DOMRADIO.DE: Nun bekommen Sie den Ludwig-Mülheims-Theaterpreis. Sie sind Literaturnobelpreisträger. Was bedeutet Ihnen dieser Preis? 

Fosse: Ich halte mich für einen bescheidenen Menschen, weshalb mir auch dieser Preis viel bedeutet. Ich bin natürlich sehr dankbar und freue mich, ihn entgegenzunehmen. Besonders als Katholik schätze ich ihn, da er eine starke Verbindung zur katholischen Tradition hat.

Das Interview führte Johannes Schröer.

Dramatiker Jon Fosse erhält Ludwig-Mülheims-Theaterpreis

Der norwegische Dramatiker und Literaturnobelpreisträger Jon Fosse wird am 6. März 2025 mit dem Ludwig-Mülheims-Theaterpreis in Köln geehrt. Die mit 25.000 Euro dotierte Auszeichnung würdigt laut Erzbistum Köln Fosses einzigartiges Lebenswerk, das existenzielle Themen wie Liebe, Verlust und Glauben in einer minimalistischen Sprache behandelt. Der Ludwig-Mülheims-Theaterpreis wird aus dem Nachlass des Schauspielers Ludwig Mülheims (1906-1988) finanziert. Das Erzbistum Köln verwaltet ihn.

Aschermittwoch der Künstler mit Kardinal Woelki / © Beatrice Tomasetti (DR)
Aschermittwoch der Künstler mit Kardinal Woelki / © Beatrice Tomasetti ( DR )
Quelle:
DR

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