Papst Franziskus fordert menschlicheres Wirtschaftssystem

"Kultur der Solidarität"

Mit einem Appell für ein menschlicheres Wirtschaftssystem hat Papst Franziskus seine Reise in die italienische Region Molise beendet. Die Suche nach einer gerechten und solidarischen Welt gründe nicht auf Träumerei und Illusion, sagte er am Samstagabend in der Stadt Isernia.  

Autor/in:
Christoph Schmidt
Empfang in Molise (dpa)
Empfang in Molise / ( dpa )

Auch wenn die christlichen Ideale der Barmherzigkeit und der Nächstenliebe in der realen Welt wenig Platz hätten, seien sie keine Flucht vor der Wirklichkeit, so der Papst. In der Nächstenliebe liege die Kraft für eine gerechtere Wirtschaftsordnung. Sie stelle nicht Geld und Profit, sondern den einzelnen Menschen, seine Arbeit und Familie in den Mittelpunkt.  

"Wir sind weder Träumer noch Illusionisten, noch wollen wir Oasen außerhalb der Welt erschaffen", sagte Franziskus vor mehreren zehntausend Pilgern und Besuchern. "Wir glauben vielmehr, dass diese Straße diejenige ist, die für alle gut ist, die Straße, die uns wirklich der Gerechtigkeit und dem Frieden näherbringt." 

Anlass seiner Rede war die Eröffnung eines Festjahrs für Papst Cölestin V. (1215-1296), der vor 800 Jahren in Isernia geboren wurde. Franziskus verglich ihn wegen seiner Demut und Nächstenliebe mit dem heiligen Franz von Assisi (1181/82-1226). Beide hätten die Mängel ihrer Zeit erkannt, seien dem armen Volk nahe gewesen und hätten sich für ein Leben in Einfachheit und gegen den Strom entschieden. «Diese beiden Heiligen haben die Notwendigkeit gespürt, dem Volk das Größte zu geben: die Barmherzigkeit des Vaters», sagte Franziskus.

Bis zum Rücktritt von Benedikt XVI. (2005-2013) galt Cölestin V. als der letzte Papst, der freiwillig aus seinem Amt schied. Er war 1294 nach wenigen Monaten im Amt abgetreten und in sein Leben als Einsiedler zurückgekehrt. Auf diesen Punkt in seiner Biografie ging Franziskus nicht ein.

Papst besucht erneut Gefängnis und fordert Resozialisierung

Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Wochen hatte Franziskus zuvor ein italienisches Gefängnis besucht und eine bessere Resozialisierung von Strafgefangenen gefordert. Der Ruf nach möglichst langen Haftstrafen löse kein einziges Problem, sagte Franziskus am Samstag vor den Insassen des Gefängnisses von Isernia in der mittelitalienischen Region Molise. Menschen nur wegzusperren, um sie so lange wie möglich hinter Gittern zu belassen, helfe nicht. Franziskus forderte ein neues Denken beim Haftvollzug sowie in der Gesellschaft. "Das Wichtige ist, nicht stehen zu bleiben - wenn Wasser stehen bleibt, dann fault es - sondern voranzugehen", so der Papst.

Gott werde nicht müde, den Menschen zu verzeihen, sie an die Hand zu nehmen und ihnen beim Vorwärtsschreiten zu helfen, wenn sie ihn suchten. Nach diesem Vorbild müsse auch die Gesellschaft handeln und Gefangenen eine neue Chance geben, sagte Franziskus. Zu glauben, dass sich das Innere eines Menschen nur "durch Prügel" ändere, entspreche nicht dem Willen Gottes. "Er lässt uns wieder aufstehen und gibt uns unsere Würde vollständig zurück", betonte der Papst. Die Gefangenen ermutigte er, niemals die Hoffnung zu verlieren. Die Hoffnung, die sie in Gott setzten, werde niemals enttäuscht.

Bereits vor 14 Tagen hatte Franziskus bei seiner Reise ins süditalienische Kalabrien ein Gefängnis besucht und dort in ähnlicher Weise zu den Gefangenen gesprochen.

Vor seiner Rede in Isernia hatten die Direktorin der Haftanstalt, Barbara Lenzini, und ein Gefangenenvertreter Grußworte an Franziskus gerichtet. Der Häftling bat den Papst, sich im Namen der Betroffenen für bessere Verhältnisse in den italienischen Gefängnissen einzusetzen. Zwar sei die Situation in Isernia relativ gut. Doch viele der 60.000 Insassen in den Haftanstalten Italiens litten unter unwürdigen Bedingungen wie überbelegten Zellen, während die Politik sie immer wieder vertröste.

Als Geschenk überreichten die Strafgefangenen dem Papst ein selbstgemaltes Bild, das ihn als Noah zwischen den Tieren auf der Arche darstellt, sowie eine überdimensionale Tafel Schokolade.

Papst prangert hohe Jugendarbeitslosigkeit an

Vor tausenden Jugendlichen am Marienheiligtum im mittelitalienischen Ort Castelpetroso hatte Franziskus ebenfalls am Samstag in einem nachdrücklichen Appell mehr Maßnahmen gegen Jugendarbeitslosigkeit gefordert. "Eine Generation ohne Arbeit ist eine kommende Niederlage für das Land und für die Menschlichkeit", sagte er. 

Die Gesellschaft dürfe sich nicht damit abfinden, eine Generation zu verlieren, die ohne Aussicht auf Jobs ihrer Würde beraubt werde. "Wir müssen uns dagegen wehren und Wege der Hilfe und Solidarität finden", forderte der Papst unter starkem Beifall seiner Zuhörer. Der Begriff der Solidarität gefalle der heutigen Welt nicht, mancher empfinde ihn gar als Schimpfwort. "Nein, er ist ein christliches Wort", betonte Franziskus. Er bestärkte die Teilnehmer aus den beiden italienischen Regionen Molise und Abruzzen darin, der schwierigen Situation am Arbeitsmarkt mit Mut, Hoffnung und Solidarität zu begegnen. In Molise ist laut Statistik jeder Zweite im Alter zwischen 15 und 24 Jahren arbeitslos.

Die Jugendlichen bestärkte Franziskus, dauerhafte Partnerschaften einzugehen. Die heutige "Kultur des Provisorischen" widerstrebe der tiefen menschlichen Sehnsucht nach festen und liebevollen Bindungen, sagte er in Castelpetroso. "Lasst Euch nicht den Wunsch rauben, in Eurem Leben große und beständige Dinge aufzubauen. Gebt Euch nicht mit kleinen Zielen zufrieden", rief er den Teilnehmern zu. Das Streben nach individueller Freiheit könne soweit reichen, dass wichtige und lange überlegte Entscheidungen schnell wieder über Bord geworfen würden, warnte Franziskus. Die Menschen neigten dazu, sich aus Angst vor Irrtümern stets einen "kleinen Fluchtweg" offenzuhalten, sich nicht festlegen zu wollen und nach neuen Möglichkeiten Ausschau zu halten. "Habt den Mut, Euch nach dem Glück zu sehnen", sagte Franziskus. "Wandert geradeaus, umkreist nicht Euer Leben."

"Kultur der Solidarität" verteidigen

Bei der großen Messe am Morgen hatte Franziskus zur Verteidigung einer "Kultur der Solidarität" aufgerufen. Angesichts einer Welt, die von materieller und spiritueller Not geprägt sei, gebe es großen Bedarf für eine solche Kultur, sagte der Papst in Campobasso. Wie kurz zuvor bei einer Rede vor Arbeitern und Unternehmern hob Franziskus die Folgen der Arbeitslosigkeit hervor. Sie seien "eine Plage, die jede Kraftanstrengung und viel Mut von allen fordert".

Staat, Arbeitgeber und Finanzwelt trügen dabei die größte Verantwortung, so der Papst bei seinem eintägigen Besuch in der Region. "Es ist nötig, aus jeder Perspektive und bei jeder Maßnahme die Würde der menschlichen Person in den Mittelpunkt zu stellen. Andere Interessen, auch wenn sie legitim sind, werden zweitrangig." Der Mensch sei als Abbild Gottes geschaffen, "und wir alle sind ein Abbild Gottes", betonte Franziskus unter dem Jubel von 80.000 Gläubigen in Campobasso.

Die Nächstenliebe ist nach seinen Worten der "Königsweg" zur Verbreitung des Evangeliums. Jeder Einzelne sei in allen Bereichen des Lebens dazu berufen, von der Familie bis zur Arbeitswelt. Die Kirche muss dabei laut Franziskus in der ersten Reihe stehen, um die Probleme und Schwächen der Menschen zu teilen. Auch innerhalb der Kirche gebe es "negative Haltungen" und Selbstbezogenheit, die von dieser Aufgabe ablenkten, räumte der Papst ein. Gott wolle die Menschen aber von solchem Ehrgeiz und Rivalitäten befreien, ebenso von Angst, Traurigkeit, Einsamkeit und innerer Leere.


Papst besucht Molise (dpa)
Papst besucht Molise / ( dpa )

Papst besucht Molise (dpa)
Papst besucht Molise / ( dpa )
Quelle:
KNA