Reist der Papst wirklich bald in die Ukraine?

"Franziskus ist ein spontaner Mann"

Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Papst Franziskus in die Ukraine eingeladen. Aber wie wahrscheinlich ist es, dass der Papst wirklich dort hinfliegt? Und wie riskant wäre das für ihn?

Papst Franziskus verlässt Flugzeug / © Paul Haring (KNA)
Papst Franziskus verlässt Flugzeug / © Paul Haring ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wie wahrscheinlich ist es, dass der Papst in die Ukraine reist?

Stefan von Kempis (Leiter der deutschsprachigen Abteilung von Vatican News): Das ist im Moment die große Preisfrage im Vatikan, ob der Papst auf einmal spontan entscheidet, nach Kiew zu reisen. Natürlich kann er das spontan entscheiden und keiner würde ihn dann aufhalten. Ein Vorbild-Modell wäre die Reise der drei Regierungschefs aus osteuropäischen Staaten letzte Woche nach Kiew. Das könnte der Papst eventuell auch tun und dann würde ihn keiner davon abhalten.

Stefan von Kempis (privat)
Stefan von Kempis / ( privat )

Wir hatten vor kurzem ein Hintergrundgespräch mit dem derzeitigen Koordinator von Papstreisen. Und er sagte uns: Normalerweise gehen jeder Papstreise zwei Fahrten von ihm selbst und einer Delegation aus dem Vatikan voraus, die erst mal prüft: Wo genau landet der Papst, wo tritt er auf, wen trifft er? Und er sei diesmal noch nicht in Kiew gewesen. Also konkret geplant sei da im Moment nichts.

Aber wir wissen, Franziskus ist ein spontaner Mann. Und wenn ihm sozusagen der Geduldsfaden reißt, dann wird er nach Kiew reisen. Man muss aber auch bedenken, dass er sich seit Kriegsausbruch sehr vorsichtig bewegt und vor allen Dingen nichts tut, um die russische Seite zu verärgern oder die wenigen Gesprächsbrücken zur russischen Seite abzureißen zu lassen.

Natürlich müsste der Papst auch bedenken: Wie würde es denn auf Moskau, auf Putin und auf den Moskauer Patriarchen Kyrill wirken, wenn der Papst nach Kiew reist? Ob das die Russen nicht zu sehr verärgert und dann spätere mögliche Vermittlungen zwischen dem Vatikan und anderen nicht unmöglich macht? Also, das ist wirklich eine harte Nuss, die da zu knacken wäre.

DOMRADIO.DE: Wie könnte so eine Reise dann aussehen?

von Kempis: Der Papst hat ja schon zwei Kardinäle in die Region rund um die Ukraine entsandt. Das wäre auch ein mögliches Modell, eine Reise zum Beispiel nach Polen, an die Grenze zur Ukraine oder auch in die Slowakei, an die Grenze zur Ukraine. Und dann von da aus ein Vorstoß mal nach Lemberg, das ja schon auf ukrainischer Seite liegt. Das wäre sozusagen die vorsichtige Variante eines spontanen Papstbesuches in der Ukraine.

Oder aber nach dem Modell der drei osteuropäischen EU-Regierungschefs, eine nicht angekündigte oder nur ganz kurz vorher angekündigte Reise nach Kiew mit dem Zug und mit all den Sicherheitsrisiken, die das natürlich mit sich bringen würde.

DOMRADIO.DE: Was für eine Maschinerie läuft dann ab? Das müssen ja extreme Sicherheitsvorkehrungen sein – oder gibt es ein ungeschriebenes Gesetz, dass Waffen schweigen, wenn der Papst kommt?

von Kempis: Es gibt leider kein ungeschriebenes Gesetz mehr, dass Waffen schweigen, wenn der Papst kommt. Das hat es in früheren Jahrhunderten durchaus gegeben, aber keiner kann davon ausgehen, dass die Russen sich an so etwas halten würden. Was ich selbst erlebt habe, ist, dass vor Papstreisen sehr diskret mit Geheimdiensten der besuchten Länder und anderer interessierter Seiten verhandelt wird, dass der Papst doch bitte sicher landen kann.

Stefan von Kempis

"Es gibt leider kein ungeschriebenes Gesetz mehr, dass Waffen schweigen, wenn der Papst kommt."

Zum Beispiel 2012, bevor Benedikt XVI. in den Libanon flog, da habe ich mitbekommen, dass man vorher mit dem israelischen Geheimdienst und Militär, mit der Hisbollah gesprochen hat. Denn der Flughafen in Beirut liegt in einem Stadtteil, der ansonsten von der iranfreundlichen Hisbollah kontrolliert wird.

Man könnte davon ausgehen, dass der Vatikan auch vorher diskret in Moskau nachhören würde, ob man nicht die Bombardierungen auf Kiew mal unterbrechen könnte, falls der Papst dahin reist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Papst einfach so dahin reisen würde, ohne dass man vorher auch mal diskret bei der russischen Seite nachfragt.

DOMRADIO.DE: Es wäre ja nicht die erste Reise eines Papstes in ein Kriegsgebiet. Welche Erfahrungen gibt es da bisher?

von Kempis: Die erste Reise in ein Kriegsgebiet 2015, in die Zentralafrikanische Republik, das wollte Franziskus unbedingt, genauso wie er auch weiterhin unbedingt eine Reise in den Südsudan will, wo der Bürgerkrieg ja auch immer noch weiter köchelt. Und trotzdem soll es offenbar im Juli 2022 jetzt zu dieser Reise kommen.

Also das war schon auch ein Schuss Glück, muss man sagen, dass damals in Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, alles gut gegangen ist. Natürlich gab es da auch vorher diskrete Gespräche und Kontakte mit allen Seiten. Aber keiner weiß, ob nicht auf einmal jemand die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit für einen spektakulären Terroranschlag nutzt.

Das war damals mehr Glück als Verstand, war jedenfalls mein Eindruck bei der Papstreise in die Zentralafrikanische Republik. Das wäre keine Blaupause für Kiew.

Das Interview führte Hilde Regeniter.

Franziskus als Friedensrufer

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Papst Franziskus (85) um Vermittlung im Krieg mit Russland gebeten. Zuvor hatte dieser mit dem Putin nahestehenden russischen Patriarchen Kyrill I. lange telefoniert. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) zeichnet Stationen von Franziskus' Friedensengagement nach:

2013

März: Kardinal Jorge Mario Bergoglio wird zum Papst gewählt. Er gibt sich in Anlehnung an den "Heiligen der Armen" den Namen Franziskus - ein Novum in der Kirchengeschichte.

Papst Franziskus / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
DR