Auslegung zum Sonntagsevangelium (Mt 22,15-21)
von Eugen Biser
Die zweite, leisere Überraschung [nach der ersten, dass Jesus sich überhaupt mit einem politischen Problem konfrontieren lässt, Anm. d. Red.] folgt aus der Reaktion Jesu auf diese Frage [ob es erlaubt ist, dem Kaiser Steuern zu zahlen]. Denn er sagt: „Zeigt mir eine Steuermünze!“ Er tut so, als ob er so etwas noch nie zu Gesicht bekommen hätte. ... Jesus muss ... im Grunde ganz genau wissen, wie ein Denar aussieht. In unserem Evangelium erscheint das fast wie eine fremde Welt, in die er sich erst richtig hineinleben muss, um reagieren zu können.
Eben das ist die Achse des heutigen Evangeliums: Das Politische ist für Jesus zwar keineswegs irrelevant; es ist im Gegenteil hochbedeutsam, besonders der Menschen wegen, die unter den politischen Verhältnissen zu leiden haben und sich in ihnen bewähren müssen. Aber es ist nicht seine Sache. „Mein Reich“, so versichert er vor Pilatus stehend, „ist nicht von dieser Welt. Wäre es von dieser Welt, dann würden meine Anhänger für mich kämpfen. So aber ist mein Reich nicht von hier.“ Das drückt sich in unserem Evangelium in dieser etwas befremdlichen Art aus, wie Jesus auf die Frage eingeht. Er scheint aus einer ganz anderen Welt zu kommen, in der es weder Denare noch Steuern gibt, sodass er sich die Steuermünze überhaupt erst zeigen lassen muss.
Aus: Magnificat. Das Stundenbuch. Oktober 2020