DOMRADIO.DE: Sie haben in einer Studie gemeinsam mit ihrem Kollegen Prof. Alexander Filipović von der Universität Wien und einem Team von Forschenden Positionen der "Alternative für Deutschland" (AfD) und der katholischen Soziallehre verglichen. Wie sind Sie vorgegangen?
Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins (Institut für Christliche Sozialwissenschaften der Universität Münster): Wir haben neuere Parteiprogramme wie das Bundestagswahlprogramm 2021, das Europawahlprogramm 2024 und einige Landtagswahlprogramme der letzten Jahre analysiert und darin durchlaufende Motive und Narrative untersucht, die den Denkstil der AfD erkennbar machen.
Dann haben wir uns insgesamt neun Einzelthemen angeschaut, von der Familien- und Sozialpolitik über die internationale Politik bis zur Ökologie und haben sie den Kernpositionen der katholischen Soziallehre gegenübergestellt, für die wir auch Aussagen des Papstes und der deutschen Bischöfe herangezogen haben. Das haben wir dann vergleichend ausgewertet und sozialethisch kommentiert.
DOMRADIO.DE: Beim Thema "Migration" ist der Unterschied zwischen den Positionen der AfD und der Katholischen Soziallehre sehr offensichtlich. Bei anderen Themen könnte man durchaus Schnittmengen vermuten, etwa bei den traditionellen Familienwerten oder der Ablehnung von Abtreibung. Zu welchem Ergebnis sind Sie da gekommen?
Heimbach-Steins: Es gibt in der Tat Schnittmengen. Umso wichtiger ist es, genau hinzuschauen. Ich mache das am Thema Familienpolitik deutlich: Die AfD vertritt ein konservatives Familienbild und plädiert für die traditionelle heterosexuelle Familie und eine Rollenaufteilung, in der die Frau die Kindererziehung der Berufstätigkeit vorziehen sollte.
Das findet man auch in der katholischen Familienethik, aber es gibt einen sehr großen Unterschied: Die AfD-Familienpolitik ist ganz klar bevölkerungspolitisch motiviert. Ihr geht es darum, das "deutsche Staatsvolk" zu erhalten, sie zielt auf eine Familienpolitik für die "richtigen Familien" ab. Es wird eine Förderung der "drei-Kind-Familie" ab der Mittelschicht aufwärts propagiert.
Es wird deutlich, dass die, die nicht in dieses Spektrum gehören, also Familien mit Migrationshintergrund, AsylbewerberInnen oder Menschen, die nicht als leistungsfähig gelten, nicht oder deutlich weniger begünstigt werden sollen.
Eine solche ausgrenzende Strategie verträgt sich nicht mit katholischen familienethischen Positionen. Insofern muss man einfach genauer hingucken. Auch bei grundlegenden Fragen wie dem Lebensschutz gewinnt man bei oberflächlicher Betrachtung den Eindruck, da würden katholische Positionen hochgehalten. Aber die Rahmung ist tatsächlich eine andere und das muss man wissen, wenn man meint, sich von dieser Partei vertreten zu fühlen.
DOMRADIO.DE: Das heißt, wenn die AfD sich beispielsweise gegen Abtreibungen ausspricht, dann macht sie das nicht aus der gleichen Motivation heraus wie die Kirche, die die Würde des Menschen und des Lebens im Blick hat?
Heimbach-Steins: Man kann jedenfalls nicht davon ausgehen, dass die AfD jedes menschliche Leben als gleichwertig betrachtet. Das sieht man an ihren Positionen zur Ausländerpolitik, zur Asyl- und Migrationspolitik und auch in den familienpolitischen Positionen. Es ist keineswegs gewünscht, dass alle Menschen, die in einer Familie leben, in gleicher Weise gefördert werden.
Das hat auch Rückwirkungen auf die Auffassungen von Menschenrechten und zu Menschenwürde und das kann man dann auch nicht ausklammern, wenn es um eine bestimmte, auf den ersten Blick für katholische Überzeugungen anschlussfähige Position zum Lebensschutz geht.
DOMRADIO.DE: Die AfD gibt sich gerne als "Anwalt der kleinen Leute" – das ist – stark vereinfacht – auch ein Gedanke der katholischen Soziallehre. Zu welchen Ergebnissen ist Ihre Studie da gekommen?
Heimbach-Steins: Da lohnt es sich, bei den Ausführungen der AfD zum Sozialstaat genauer hinzuschauen. Diese Verengung, die ich eben geschildert habe, in Richtung eines völkischen Nationalismus, trifft bei den sozialpolitischen Themen auf eine sehr krasse Leistungsideologie. Da finden sich noch Spuren aus den Anfängen der Partei, als die AfD als wirtschaftsliberale Professorenpartei begonnen hat.
Aber heute vertritt sie eine Grundauffassung, die soziale Gerechtigkeit weitgehend als Leistungsgerechtigkeit buchstabiert. Die AfD geht davon aus, dass Leistungen aus dem Sozialstaat nur Menschen zugutekommen sollen, die selbst leistungsfähig sind und vor allem Leistungen erbracht haben, die aufwiegen, was sie vom Staat erhalten.
Das widerspricht dem katholischen Solidaritätsverständnis und der Idee des Sozialstaates, wie wir ihn gemeinhin verstehen, grundlegend. Denn da geht es darum, dass bei unterschiedlicher Leistungsfähigkeit und unterschiedlichen Ausgangs- und Teilhabebedingungen in einer Gesellschaft für alle ein gewisses Niveau der Lebensführung und der Risikoabsicherung gewährleistet werden kann.
Das sieht man auch am Beispiel der Inklusion: Die AfD will, dass Menschen mit einer Behinderung nur in besonderen Einrichtungen versorgt und beschult werden. Die Idee einer Schule für alle lehnt sie ab, weil das die Leistungsfähigkeit der nicht behinderten Schüler einschränken würde. Die Grundidee ist: Die Leistungsfähigen dürfen nicht eingeschränkt und belastet werden. Aber alle, die nicht so leistungsfähig sind, haben dann das Nachsehen.
Menschen, die zu Recht den Eindruck haben, in unserer Gesellschaft nicht gesehen zu werden, setzen manchmal ihre Hoffnung darauf, dass diese Partei ihre Anliegen als "kleine Leute" besser vertreten würde. Die sozialpolitischen Weichenstellungen der AfD zeigen, dass diese Hoffnung trügerisch ist. Die Menschen wären regelrecht angeschmiert.
Wenn diese Partei mit ihrem Programm Sozialpolitik macht, werden genau die Menschen, die am meisten auf eine solidarische Sozialpolitik angewiesen sind, am allermeisten in die Röhre gucken.
DOMRADIO.DE: Das heißt, wer es mit den christlichen Werten und der Katholischen Soziallehre ernst nimmt, kann nicht die AfD wählen?
Heimbach-Steins: Ich erinnere an das, was die deutschen Bischöfe sehr deutlich formuliert haben: Dass Positionen, die durch einen ausgrenzenden völkischen Nationalismus geprägt sind, für Christinnen und Christen nicht wählbar sind. Dem schließen wir uns an, weil alle Vorstellungen von unteilbarer Menschenwürde, Menschenrechten, Solidarität und gegenseitiger Fürsorge programmatisch unterlaufen werden.
Auch was die Ausgrenzung von Schwachen, Fremden oder in irgendeiner Weise als anders wahrgenommenen Menschengruppen angeht: Das ist mit christlichen Werten nicht vereinbar. Man sollte sich gut überlegen, ob man das mit seinem Gewissen vereinbaren kann.
DOMRADIO.DE: Es gibt die Vereinigung "Christen in der AfD" – sind das dann keine "richtigen" Christen? Bzw. vertreten die keine christlichen Werte?
Heimbach-Steins: Es steht mir nicht zu, über individuelle Glaubensüberzeugungen zu urteilen. Wenn Menschen Christen sind und die AfD wählen, dann verstehe ich das nicht. Aber ich kann natürlich niemandem seine persönliche Gläubigkeit absprechen, das liegt mir vollkommen fern.
Ich würde immer versuchen, solchen Menschen klar zu machen: Guck mal, was du dir da einkaufst. Das passt einfach nicht zusammen. Aber wir wissen natürlich, dass es Schnittstellen gibt zwischen der politischen Rechten, wie die AfD sie repräsentiert, und der religiösen Rechten. Es gibt sie im Katholizismus und in anderen christlichen Denominationen. Da treffen wir auf sehr unterschiedliche Deutungen und Lesarten des christlichen Glaubens bzw. bestimmter Traditionen.
Aber nicht alle Positionen, die sich auf das Christentum berufen, sind tatsächlich mit den Werten des Evangeliums und einer christlichen Ethik vereinbar.
DOMRADIO.DE: Immer wieder gab es in den vergangenen Monaten darüber Diskussionen, ob Personen ein kirchliches Amt oder Ehrenamt ausüben dürfen, wenn sie Mitglied der AfD sind. Spalten die Ergebnisse Ihrer Studie Gemeinden nicht noch mehr?
Heimbach-Steins: Unsere Studie zielt nicht darauf ab, zu spalten, sondern wir beobachten die Spaltungen in der Gesellschaft, die da sind. Dabei sollte man nicht den Feuermelder zum Brandstifter machen. Diejenigen, die Spaltungen benennen und analysieren, sind nicht diejenigen, die spalten. Das nehme ich auch für unsere Studie in Anspruch.
Wir bieten Argumente an für die Menschen, die vor Ort in den Gemeinden und Verbänden mit völlig unterschiedlichen, teilweise unvereinbaren Positionen zu tun und zu kämpfen haben. Wir geben keine Rezepte, wie man handeln sollte, dafür sind die Situationen zu unterschiedlich. Aber wir geben Informationen und wir bieten Maßstäbe an, mit denen Menschen, die in dieser politischen Situation verantwortungsbewusst handeln und die Gesellschaft mitgestalten wollen, arbeiten und ihre eigene Position weiterentwickeln können.
Ich persönlich würde mit Menschen in kontroversen Positionierungen das Gespräch zu suchen. Das ist auch die offizielle Position der Kirche, dass man das Gespräch nicht verweigern will. Aber auf der anderen Seite ist es wichtig, dass Menschen, die in bestimmten Aufgaben und Ämtern, auch Ehrenämtern, Verantwortung tragen und für die Kirche sprechen, keine Positionen vertreten, die mit der Soziallehre der Kirche nicht vereinbar sind.
Positiv formuliert: Die Kirche vertritt einen universalistischen ethischen Ansatz, der nicht ausgrenzen will, der Menschen nicht aufgrund ihrer Herkunft, ihrer sozialen Stellung oder irgendwie gearteten Fremdheit aus der Gesellschaft ausschließen will. Das darf nicht dadurch unterlaufen werden, dass Menschen, die für die Kirche sprechen, entgegengesetzte ideologische Positionen vertreten.
Da ist die Unterscheidung der Geister wirklich eine sehr grundlegend wichtige Aufgabe. Dazu wollen wir mit unserer Studie einen Beitrag leisten.
Das Interview führte Ina Rottscheidt.
Information der Redaktion: Die Studie "Die Programmatik der AfD – eine Kritik. Darstellung und Vergleich mit Positionen der katholischen Kirche":
https://doi.org/10.17879/87938471427