Berliner Tafel unterstützt arme Familien mit Schultüten

"Eine kostspielige Angelegenheit"

Zum ersten Schultag freuen sich Erstklässler über eine schöne Schultüte. Wenn aber das Geld in den Familien knapp ist, könnte die Tüte nur ein Traum bleiben. Damit das nicht passiert, hilft in Berlin eine Aktion der Tafel.

Autor/in:
Carsten Döpp
Symbolbild Eine Mutter hält eine Schultüte in den Händen / © Harald Oppitz (KNA)
Symbolbild Eine Mutter hält eine Schultüte in den Händen / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie greifen Kindern aus finanzschwachen Familien mit Schultüten unter die Arme, die Sie spendieren und auch selbst packen. Wie läuft das Ganze? 

Sabine Werth, Vorsitzende der Berliner Tafel, am 9. April 2022 in Berlin. / © Nadja Kammer (KNA)
Sabine Werth, Vorsitzende der Berliner Tafel, am 9. April 2022 in Berlin. / © Nadja Kammer ( KNA )

Sabine Werth (Gründerin und Vorsitzende der Berliner Tafel e.V.): Seit 2013 sind wir durch eine Initiative der Leos, das ist die Jugendorganisation der Lions (Wohltätigkeitsclub, Anm. d. Red.), an dieser Aktion beteiligt.

Die Lions und die Leos packen jetzt am Wochenende Schultüten und Schulbeutel. Das heißt, in dem einen Fall ist es für die Schulbeginnenden – und im anderen Fall für diejenigen, die auf eine weiterführende Schule kommen. 

Da sind alle wesentlichen Dinge drin, die auch sonst in einer Schultüte sind. Hier geht es uns um armutsbetroffene Kinder. Die sollen nicht schon bei Schulbeginn ausgegrenzt werden, weil sie im Gegensatz zu den anderen keine Schultüte haben. 

Sabine Werth

"Wir haben im Jahr 2013 mit 166 Schultüten angefangen und wollen in diesem Jahr über 5.700 Tüten und Schulbeutel packen."

DOMRADIO.DE: Das Schultütenpacken findet in Berlin seit elf Jahren statt, regelmäßig zum Schulbeginn. Wie hat sich das zahlenmäßig in den vergangenen Jahren entwickelt? 

Werth: Das ist eine wahnsinnige Entwicklung, die sich da gezeigt hat. Wir haben im Jahr 2013 mit 166 Schultüten angefangen und wollen in diesem Jahr über 5.700 Tüten und Schulbeutel packen. Das ist natürlich eine enorme Steigerung. Einerseits in Bezug auf die Spendenbereitschaft von Firmen, die uns die Sachen dazugeben, andererseits auch in Bezug auf die Leos und die Lions, die wundervoll dabei sind. 

Aber auch in Bezug auf die Anzahl sehen wir daran schlicht und ergreifend, wie groß die Armutsbetroffenheit gerade bei Kindern und Jugendlichen ist. Da ist es schon erschreckend, dass wir inzwischen derart viele Teile machen. 

DOMRADIO.DE: Bei 5.700 Schultüten ist dann jede Menge los auf dem Gelände des Berliner Großmarkts. 

Werth: Das ist ein wahnsinniges Gewusel, was wir da haben. Wir haben Unmengen an Paletten mit Material da stehen. Das ist aber eine eingespielte Sache. Die gehen von Palette zu Palette und es wird ganz gezielt in die Schultüten und in die Schulbeutel das hereingepackt, was für die jeweilige Altersgruppe richtig ist. Das ist lustig. Es sieht aus wie am Fließband, was da passiert. Alle wissen ganz genau, was sie zu tun haben und alle sind hoch motiviert. 

Ab Sonntag kommen schon die ersten Ausgabestellen. Unsere Aktion "Laib und Seele", die Aktion der Berliner Tafel, der Kirchen und des rbb, holen sich Schultüten und Schulbeutel ab, denn die werden in der nächsten Woche diese ganzen Sachen verteilen. 

Wir beliefern aber auch Frauenhäuser und Kinder- und Jugendeinrichtungen. Da wird es dann auch noch rechtzeitig vor Schulbeginn an alle Kinder vergeben. 

Sabine Werth

"So eine Schultüte zusammenzubauen, ist eine unheimlich kostspielige Angelegenheit für alle Eltern."

DOMRADIO.DE: Was bekommen Sie für Feedback der Eltern und der Kinder? 

Werth: Sie sind einerseits beschämt, weil es natürlich kein schönes Gefühl ist, auf fremde Hilfe an dieser Stelle angewiesen zu sein. Auf der anderen Seite sind alle Beteiligten wahnsinnig glücklich, weil den Eltern auf die Art und Weise eine große Last genommen ist. Denn so eine Schultüte zusammenzubauen, ist eine unheimlich kostspielige Angelegenheit für alle Eltern. 

Es ist toll, wenn sich das viele leisten können. Aber umso erschreckender ist es, wenn es bei anderen Kindern daran fehlen würde. Wir versuchen, diese Lücke zu füllen. 

DOMRADIO.DE: Für die Schülerinnen und Schüler geht es dann am 2. September in Berlin wieder in die Schule. Alle im besten Fall dann mit Schultüte, vor allem natürlich die Erstklässler. Zaubert Ihnen das dann ein Lächeln ins Gesicht? 

Werth: Auf jeden Fall. Wir sind wahnsinnig glücklich, dass wir auch an dieser Stelle helfen können. Denn unsere normale Aktion findet ja mit Lebensmitteln statt. Wir sehen an dieser Aktion aber auch, dass Lebensmittel nicht alles sind, was armutsbetroffene Menschen brauchen. 

Wir sind sehr glücklich, dass wir mit der Unterstützung der vielen Sponsoren und Aktiven an dieser Stelle ein wenig helfen können. 

Das Interview führte Carsten Döpp.

Tafeln in Deutschland

Die bundesweit agierenden Tafeln haben sich in den vergangenen 20 Jahren zu einer der größten sozialen Bewegungen in Deutschland entwickelt. Waren es 2002 noch gut 300, gibt es heute bundesweit etwa 900 Tafeln mit rund 2.100 Tafel-Läden und Ausgabestellen. Bei ihnen engagieren sich circa 60.000 ehrenamtliche Mitarbeiter. Alle zusammen versorgen sie mehr als 1,5 Millionen Menschen mit Lebensmitteln, die sie als Spenden im Handel und bei Herstellern gesammelt haben.

Helfer sortieren  Salat bei der Lebensmittelausgabe in der Kirche Sankt Karl Borromäus in Köln / © Harald Oppitz (KNA)
Helfer sortieren Salat bei der Lebensmittelausgabe in der Kirche Sankt Karl Borromäus in Köln / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR