Der Ingolstädter Wirtschaftsethiker Althammer zur Finanzkrise

"Spekulation an sich ist nicht unmoralisch"

Der Finanzmarkt ist außer Rand und Band. Milliardenwerte sind schon vernichtet. Wer hat die Pleite zu verantworten und wie kann Schlimmeres verhindert werden? Darüber sprach die Katholische Nachrichten-Agentur mit Professor Jörg Althammer, Inhaber des Lehrstuhls für Wirtschaftsethik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Er warnt vor der Gefahr, dass die privaten Akteure aus der Krise die falschen Lehren ziehen.

Autor/in:
Christoph Renzikowski
 (DR)

KNA: Herr Professor Althammer, kein Tag vergeht ohne neue Horrormeldungen aus der Bankenwelt. Ist der Kapitalismus am Ende?
Althammer: Zumindest zeigt die internationale Finanzkrise, dass der Markt ohne eine vernünftige Rahmenordnung nicht funktioniert.

KNA: Wer soll für diesen Rahmen sorgen?
Althammer: Nationale Regierungen sind damit überfordert. Solche Regeln kann nur ein supranationaler Träger durchsetzen. Dazu gehören Offenlegungspflichten und auch Sicherheiten, die Anbieter hochriskanter Finanzprodukte hinterlegen müssten.

KNA: Einem Normalbürger wird schwindlig, wenn er sieht, mit welchem Tempo Milliardenwerte über den Globus bewegt werden.
Althammer: Das Problem ist nicht die Geschwindigkeit der Transaktionen, sondern dass Produkte auf den Markt kamen, deren Risiken nicht mehr überschaubar waren.

KNA: Über Nacht soll jetzt der Staat helfen, den Crash von Banken zu verhindern. Dabei hat sich gerade die Finanzwelt bisher immer gegen Interventionen gesperrt.
Althammer: Der Staat kann nicht zusehen, wie der Kapitalmarkt funktionsunfähig wird. Dazu ist dieser viel zu wichtig für die Entwicklung der Volkswirtschaft. Das Problem besteht darin, dass die privaten Akteure auf den Finanzmärkten bei der Überwindung dieser Krise zu wenig eingebunden werden. Damit wird das falsche Signal
gesetzt: Ich kann Risiken eingehen, und wenn sie dann zu groß werden, springt ohnehin der Staat ein. Es wäre fatal, wenn vom Krisenmanagement dieser Lerneffekt ausginge.

KNA: Verlässt sich die Wirtschaft zu sehr auf den Staat?
Althammer: Für die Vereinigten Staaten würde ich das so sehen. Dort müsste zumindest für die Zukunft die Privatwirtschaft stärker in die Pflicht genommen werden. Hier gibt es durchaus einen stärkeren Regulierungsbedarf auf den Finanzmärkten.

KNA: Ist das Krisenmanagement von Steinbrück besser als das der US-Regierung?
Althammer: Bisher ja. Die deutsche Regierung wirkt stabilisierend.

KNA: Zuerst setzen sich Banken in Steueroasen ab. Gehen die Geschäfte in die Binsen, bürgt plötzlich der deutsche Steuerzahler.
Wie ist das zu rechtfertigen?
Althammer: Das ist ein Grundsatzproblem. Wir müssen in Europa die nationalen Steuersysteme harmonisieren und Schlupflöcher stopfen.

KNA: Wer ist schuld an der Misere? Skrupellose Finanzjongleure?
Althammer: Es geht nicht um moralisches Fehlverhalten Einzelner. Ein Börsianer will mit seinem Investment einen optimalen Ertrag erzielen. Nichts anderes tun wir alle, wenn wir im Supermarkt nach dem günstigsten Produkt greifen. Der Fehler steckt im System, wenn Entscheidungsbefugnis und Haftung auseinanderfallen. Der Markt funktioniert nur, wenn die Entscheider auch für die Folgen ihres Tuns einstehen müssen. Für falsches Wirtschaften sollten Manager haften, gegebenenfalls auch mit ihrem Privatvermögen.

KNA: Ist Spekulation unmoralisch?
Althammer: An sich nicht. Im Prinzip werden Risiken gehandelt, wie bei einem Versicherungsgeschäft. Einem Spekulanten, der ein Risiko eingehen möchte, steht auf der anderen Seite ein Marktteilnehmer gegenüber, der sich von einem Risiko befreien will und bereit ist, dafür eine Prämie zu zahlen. Problematisch, auch im ethischen Sinn, wird es, wenn sich Risiken bestimmter Produkte mangels Informationen so undurchsichtig sind, dass sie sich nicht mehr kalkulieren lassen.

KNA: Hat der Wirtschaftsliberalismus ausgedient?
Althammer: Schon immer haben sich die Ökonomen mit der Frage der optimalen Regulierungsdichte beschäftigt. In den 80er Jahren setzte sich als Mainstream die Richtung durch, die eher staatskritisch und marktfreundlich war. Jetzt rückt die Frage in den Vordergrund, welche Ordnung vonnöten ist, damit der Markt stabil funktioniert. Es wäre aber nicht richtig, den Markt an sich außer Kraft setzen zu wollen.

KNA: Wie ernst ist die Lage?
Althammer: Die Amerikaner müssen die Verantwortung für ihren Finanzmarkt wahrnehmen. Wenn die Krise tatsächlich überschwappen sollte, ist eine weltweite Rezession nicht mehr auszuschließen.

KNA: Haben Sie persönlich Angst um Ihren Notgroschen?
Althammer: Momentan schlafe ich noch ruhig. Aber man kann jetzt schon sehen, dass es zur sozialen Absicherung auf jeden Fall falsch wäre, nur auf den Kapitalmarkt zu setzen. Es ist richtig, dass der größere Teil unseres Rentensystems umlagefinanziert ist.