Religionswissenschaftler Khoury über den Hessischen Kulturpreis

"Beide Seiten übertreiben"

Kardinal Karl Lehmann und der evangelische Geistliche Peter Steinacker wollen nicht zusammen mit dem muslimischen Schriftsteller Navid Kermani mit dem Hessischen Kulturpreis ausgezeichnet werden. Aus Sicht der beiden Theologen greift Kermani das Kreuz als zentrales christliches Glaubenssymbol fundamental und unversöhnlich an. Zum Streit äußert sich der Münsteraner Religionswissenschaftler Adel Theodor Khoury im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur.

 (DR)

KNA: Herr Professor Khoury, wie sehen Sie den Streit?
Khoury: Ich sehe auf beiden Seiten eine Übertreibung. Kermani benutzt eine unüberlegte und verletzende Wortwahl, wenn er mit Blick auf das Kreuz von Gotteslästerung und Götzenverehrung, also Idolatrie, spricht. Umgekehrt ist die Reaktion von Lehmann und Steinacker wahrscheinlich zu hart ausgefallen. Zum Schluss des von ihnen kritisierten Aufsatzes schwächt Kermani seine eigenen Aussagen ab und lässt eine mögliche positive Einschätzung der Kreuzesverehrung erkennen.

KNA: Kermani schreibt, dass er Kreuzen gegenüber "prinzipiell negativ eingestellt" sei. Was bedeutet es aus muslimischer Sicht, dass Gott gekreuzigt wird?
Khoury: Darin leuchtet eine jahrhundertealte Diskussion auf, die ganze Bibliotheken füllt. Die Menschwerdung Gottes in Jesus Christus und dann auch noch seine Kreuzigung sind für die Muslime eine unannehmbare Vorstellung. Einige Polemiker werfen den Christen vor, dass ihre Aussage über den Tod Jesu am Kreuz bedeutet, dass auch Gott am Kreuz gestorben sei. Aber damit haben sie natürlich das Christentum falsch verstanden. Am Kreuz ist eben nur die menschliche Natur Gottes gestorben. Durch den Menschen Jesus Christus teilt Gott das Los der Menschen - und auf die Kreuzigung folgt die Erlösung von dem Leiden und die Auferstehung, an der alle Menschen teilhaben können. Wenn Kermani Genaueres darüber gewusst hätte, hätte er anders über das Thema geschrieben.

KNA: Kann es angesichts der unterschiedlichen Auffassungen über die Menschwerdung Jesu und seine Leidensgeschichte überhaupt einen christlich-muslimischen Dialog geben?
Khoury: Der Weg dahin ist noch weit. Wenn es an das theologisch Eingemachte geht, kommt es immer wieder auf beiden Seiten zu harschen Reaktionen. Hier und da gibt es noch sehr viele Empfindlichkeiten. Bevor der christlich-muslimische Dialog richtig losgehen kann, muss er vorbereitet werden. Bei dieser Vorstufe geht es darum, zunächst einmal eine Atmosphäre des gegenseitigen Respekts und Vertrauens zu schaffen.

KNA: Das hebt aber die Widersprüche und Differenzen nicht auf...
Khoury: Natürlich nicht. Wir müssen aber erst einmal an den Punkt kommen, dass sich beide Seiten Klarheit über das verschaffen, was jeweils der andere glaubt. So muss ich gegenüber Muslimen immer wieder deutlich machen, dass Dreifaltigkeit nicht drei Götter bedeutet, sondern dass die Christen an nur einen Gott in drei Personen glauben. Umgekehrt müssen die Christen wissen, dass zum Beispiel die koranischen Stellen, die Jesus als Messias, als Wort Gottes und Geist von ihm bezeichnen, nach islamischer Deutung nicht die Sicht der christlichen Theologie wiedergeben.

KNA: Das klingt nach einem schwierigen Prozess.
Khoury: Nur durch den Abbau von Vorurteilen lassen sich die Unterschiede in Geduld aushalten. Ich plädiere für eine kritische Sympathie zwischen Muslimen und Christen. Provozierende Formulierungen und ablehnende Reaktionen haben da aber keinen Platz.

KNA: Gibt es überhaupt einen gemeinsamen Angelpunkt zwischen Muslimen und Christen?
Khoury: Aber ja. Christen und Muslime eint der Glaube an den einen Gott. Diesen gemeinsamen Monotheismus darf man nicht unterschätzen, ihn gilt es im muslimisch-christlichen Dialog hervorzuheben. Ein weiteres bedeutendes einigendes Band stellen die zehn Gebote dar, deren biblische Formulierungen sich im Koran wiederfinden. Indem sich beide Seiten darüber bewusst werden, können sie gemeinsam zu einer Welt in Frieden, Gerechtigkeit und Religionsfreiheit beitragen.