domradio.de: Das wird heute Abend weiß Gott nicht Ihre erste Christmette im Kölner Dom sein ‑ aber doch Ihre erste als Erzbischof von Köln. Was ist das für ein Gefühl?
Rainer Maria Kardinal Woelki: Wie soll ich das sagen? Natürlich bewegt mich das sehr. So habe in das schon den vergangenen Jahren als Weihbischof und auch als Domkapitular erlebt. Es ist natürlich gerade für Kölner ein großes Gefühl, ein tiefes Empfinden, im Dom die Christmette zu feiern. Wenn man hier durch die Straßen geht, hört man das immer wieder: Das möchte ich auch einmal erlebt haben. Und in der Tat ist der Dom dann in der Christmette ja auch immer brechend voll. Ich freue mich ganz einfach auf den Gottesdienst, auf die vielen Menschen, auf das gemeinsame Singen und auch auf die Atmosphäre, die an diesem Abend immer im Dom herrscht. Ich glaube, dass keiner den Dom dann wieder so verlässt, wie er hineingekommen ist. Ich denke, dass jeder immer ein Stückchen besser da hinausgeht, als er gekommen ist.
domradio.de: Bevor Sie später im Dom die Messe zelebrieren, haben Sie aber noch einiges vor ‑ ein bisschen später werden Sie noch eine Einrichtung für Obdachlose im Kölner Süden besuchen ‑ warum ist Ihnen das so wichtig, da hinzugehen?
Kardinal Woelki: Weil an einem solchen Tag wie dem Weihnachtsabend keiner allein sein soll und gerade auch die Obdachlosen nicht allein sein sollen. Das sind Menschen, die auf der Straße leben, die oft zu denen gehören, die in diesem Leben zu kurz gekommen sind. Und Gott wird auch für sie Mensch in seinem Sohn Jesus Christus. In jedes Menschen Antlitz dürfen wir ein Ebenbild Gottes erkennen und gerade auch in den Gesichtern derer, die auf der Straße leben, denen das Leben übel mitgespielt hat. Ich möchte einfach ein Zeichen der Wärme und der Nähe Gottes auch im Leben dieser Menschen setzen und ihnen sagen: Ihr seid wertvoll, ihr seid wichtig, auch in den Augen Gottes, und das möchte ich einfach durch meinen Besuch dokumentieren. Auch ein Stück Wertschätzung möchte ich ihnen zeigen, dass sie auf jeden Fall wie wir alle Würde habe, die uns von dem Kind in der Krippe geschenkt ist. Gott liebt jeden Menschen so sehr, dass er einer von uns wird.
domradio.de: "Auch Jesus war ein Flüchtling" ‑ das schreiben Sie in Ihrem Weihnachtsgruß. Und Sie werben dafür, eine Willkommenskultur zu schaffen. Was kann denn jeder einzelne tun, um Flüchtlingen das zu geben was sie brauchen ‑ "Hilfe und Herzlichkeit" – wenigstens ein bisschen?
Kardinal Woelki: Zunächst einmal dieser ganzen Fragenstellung mit Offenheit begegnen, sich bewusst machen, dass dort Menschen unter Krieg und Terror zu leiden haben, dass Familien zerrissen werden, sich bewusst machen, mit welch traumatisierten Menschen wir es hier oft zu tun haben, mit Kindern, die ihre Eltern auf dem Mittelmeer verloren haben, die Zeuge wurde, wie Soldaten, wie Schlepper die Eltern über Bord geworfen haben, weil sie nicht in der Lage waren, die zweite Rate für die Überfahrt zu bezahlen. Das sind ja furchtbare Schicksale und ich denke, dass hier diese Menschen bei uns ankommen dürfen und ankommen müssen, in einem Land, das a) relativ reich ist und b) das sicher ist, und dass diese Menschen hier eine neue Heimat und eine neue Zukunft bekommen können müssen. Ich finde, dass Erste ist das Sich-Klarmachen, das Zweite ist, diesen Menschen, dort wo wir sie dann treffen, mit Offenheit und Wärme und Herzlichkeit, mit Empathie zu begegnen. Und drittens: sich dort, wo es möglich ist, auch persönlich engagieren, vielleicht in Form von Wohnungen, die zur Verfügung gestellt werden, in Form von Hilfe bei Behördengängen, mit der Ermöglichung von Sprachkursen, vielleicht auch selbst einen Sprachkurs zu leiten, oder ganz einfach auch, sich von altem Spielzeug und getragener Kinder- oder Erwachsenenbekleidung zu trennen, um sie diesen Menschen anzubieten und zu bringen.
domradio.de: Weihnachten ist ja für katholische Geistliche alles andere als eine Auszeit, ganz im Gegenteil: Die meisten sind ständig im Einsatz. Wie geht es bei Ihnen am ersten und zweiten Feiertag weiter?
Kardinal Woelki: Ich werde jetzt zuerst einmal eine Einrichtung besuchen, in der obdachlose Menschen zusammenkommen, um Weihnachten zu feiern, ich werde das Fest mit ihnen begehen. Danach geht es dann für mich nach Hause, wo ich mich dann innerlich auf den heutigen Abend und auch auf den morgigen Tag vorbreiten will. Heute um Mitternacht ist die Christmette im Kölner Dom und morgen früh um 10 Uhr dann das Hochamt. Und dann am Nachmittag habe ich durchaus Gelegenheit, mit meiner Mutter und meinen Geschwistern und einigen Freunden Weihnachten zuhause bei mir zu feiern.
domradio.de: Da haben Sie meine letzte Frage schon vorweggenommen: Werden Sie in all dem Trubel auch noch dazu kommen, persönliche, private weihnachtliche Momente zu verbringen?
Kardinal Woelki: Wie gesagt, wird das morgen Nachmittag sein, wenn meine Geschwister und meine Neffen kommen. Das wird natürlich ein großes Hallo geben. Wir werden zum Kaffeetrinken zusammenkommen und dann ist das wahrscheinlich wie in jeder normalen Familie: Wir werden zu erzählen haben, weil wir uns schon eine ganze Zeit nicht gesehen haben. Vielleicht singen wir auch etwas miteinander und hören die Weihnachtsgeschichte, so wie das bei den meisten zuhause wahrscheinlich vonstattengeht.
Das Interview führte Hilde Regeniter.