Eine Einsiedlerin über Einsamkeit, Corona und Weihnachten

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens

Corona von früh bis spät. Das lässt selbst hartgesottene Zeitgenossen nicht kalt. Und dann auch noch ein "Lockdown light", aber kaum Licht am Ende des Tunnels. Himmel, wie soll man das alles bloß aushalten?

Symbolbild: Einsiedler leben zurückgezogen / © Anita Hohl (KNA)
Symbolbild: Einsiedler leben zurückgezogen / © Anita Hohl ( KNA )

An den selbst verzierten Kerzen kann sie es merken. Die stellt Schwester Benedicta immer in der kleinen Kirche neben ihrer Klause zum Verkauf auf. In den vergangenen Wochen musste sie öfter nachlegen. Die dunkle Jahreszeit kommt, Corona ist immer noch da, der zweite Lockdown hat gerade angefangen. "Ich brauche jetzt viel Licht!" Das würden ihr die Menschen sagen, die auf dem steilen Weg zur Godesburg im Süden Bonns eine kurze Rast einlegen - oder ganz bewusst zur Kapelle Sankt Michael kommen.

In dem winzigen, mit Schieferschindeln verkleideten Fachwerkhaus gleich nebenan, wohnt die Ordensfrau seit inzwischen 14 Jahren als Eremitin. Sie gehört damit zu den bundesweit schätzungsweise 70 Frauen und Männern, die ihr Leben in Armut, betend und in selbst gewählter Abgeschiedenheit verbringen. Wer jetzt an wortkarge und durchgeistigte Eigenbrötler denkt, ist bei Benedicta an der völlig falschen Adresse. Vielleicht ist sie deswegen aber genau die Richtige, um etwas über das Alleinsein zu erfahren. Über Weihnachten unter den Bedingungen von "Social Distancing". Über den Umgang mit der Angst vor Krankheit und Tod.

Corona lässt sich nicht schönreden

Verharmlosen, das betont Schwester Benedicta mehrfach, will sie die Situation nicht. Schwerkranke Menschen, die wegen der Pandemie ihre Angehörigen nicht mehr sehen können, Familien, die auf engstem Raum in Hochhaussiedlungen zusammenleben müssen: So etwas lässt sich nicht schönreden. Im Sommer konnte, wer Gesprächsbedarf hatte, samstags an der Klause anklopfen. Wegen Corona und der zunehmend kalten Witterung laufen die Kontakte jetzt per Telefon. "Es geht nicht mehr so sehr um Konflikte mit anderen, sondern um wirklich existenzielle Fragen nach dem Sinn des Lebens", fasst die Eremitin zusammen.

"Wir sind gewohnt, dass wir von außen mit Informationen und visuellen Reizen überflutet werden", sagt sie. "Das macht es uns einfach, abzuschalten oder uns gar nicht erst anzuschalten." Wird der Alltag plötzlich, wie schon im Frühjahr, auf Anordnung der Behörden heruntergefahren, "entsteht ein deutliches Bild von unserem Inneren", erläutert die 74-Jährige. "Das macht Angst."

Wesentliches und Unwesentliches

Ist ja auch seltsam: "Wir fliegen zum Mond - und ein kleines Virus greift uns ins Speichenrad." Aber darin, so jedenfalls sieht es die Ordensfrau, liegt eine Chance. "Wir können innehalten, das Wesentliche vom Unwesentlichen trennen." Für jemanden wie Schwester Benedicta, die das zu ihrem Lebensinhalt gemacht hat, eine vertraute Übung. "Ein eremitenfreundliches Klima!", hatte sie schon beim ersten Lockdown festgestellt. Was aber ist mit den vielen Nicht-Eremiten? Wie sollen die überlastete Ärztin, der arbeitslose Familienvater, die um ihren Job bangende Kellnerin oder die von ihren Enkeln abgeschnittenen Großeltern von dieser Krise profitieren?

Dazu, räumt Benedicta ein, braucht es vor allem Geduld mit sich selbst. Gelassenheit will eingeübt werden. "Wir sollten nicht versuchen, die Dinge auszuhalten, sondern sie anzunehmen." Wer durch den erzwungenen Stillstand des öffentlichen Lebens unter Leerlauf leide, könne versuchen, ihn mit anderen Dingen zu füllen: "Mal wieder einen Brief schreiben, ein Telefonat führen, erste Schritte der Versöhnung hin zu einem Menschen unternehmen, mit dem ich mich entzweit habe." Und last but not least: lesen.

Bibel-Quarantäne

Sie selbst denkt gerade oft über eine ziemlich bekannte Geschichte aus dem Buch der Bücher nach. Quarantäne gab es nämlich auch schon in der Bibel. Wochenlang saß Noah auf seiner Arche fest, bevor er nach einer verheerenden Sintflut wieder Land unter die Füße bekam. Die anschließende Botschaft Gottes, findet Benedicta, könne Mut machen für die Gegenwart: "Ich habe meinen Bogen in die Wolken gesetzt ,die Welt zu bewahren!" Gott, so fasst es die Einsiedlerin zusammen, zeigt sich den Menschen auch in der Krise. Er verlässt sie nicht.

Ein Halt - zumindest für die, die glauben. Und für alle anderen vielleicht ein anderer Zugang zum bevorstehenden Weihnachtsfest in diesen anderen Zeiten. Kaufrausch und der Kater nach dem Glühwein haben daraus mitunter eine "Party ohne Geburtstagskind" gemacht, findet Schwester Benedicta. Dabei gehe es doch - ähnlich wie bei Noah - darum, dass Gott bei den Menschen sein wolle. Zu Weihnachten eben in Gestalt des Neugeborenen in der Krippe.

Sie selbst will Heiligabend wie jedes Jahr verbringen - wenn es denn irgendwo eine Christmette gibt. Die Pandemie verlangt auch von einer erfahrenen Einsiedlerin ein wenig Improvisationstalent. Nach dem Gottesdienst, am späten Abend, wird sie in die Kapelle neben ihrer Eremitage gehen und ihre Ordensgelübde von Armut, Keuschheit und Gehorsam erneuert. Vielleicht muss sie bei der Gelegenheit noch einmal die Kerzenbestände auffüllen.

Joachim Heinz


Quelle:
KNA