Europaweites Läuten erinnert an gemeinsames Kulturerbe

Frieden an die große Glocke hängen

Krieg und Frieden - die Glocke als Kulturgut symbolisiert beides. Europaweit soll das Glockenläuten jetzt ein akustisches Friedenszeichen setzen. Es könnte auch als Mahnung wirken.

Autor/in:
Anna Fries
Neue Glocken für den Hamburger Michel / © Daniel Reinhardt (dpa)
Neue Glocken für den Hamburger Michel / © Daniel Reinhardt ( dpa )

Ding, Dong, Ding, Dong... - Zugegeben, manch einer bedauert, in Reichweite einer Kirchenglocke zu wohnen und allmorgendlich in der Frühe von Geläut geweckt zu werden. Im Alltag kaum sichtbar, sind Glocken ein vielschichtiges Kulturgut.

Das soll auch am 21. September, dem internationalen Tag des Friedens, deutlich werden. Dann läuten europaweit ab 18.00 Uhr eine Viertelstunde lang kirchliche und säkulare Glocken mit dem Ziel, das gemeinsame Kulturerbe zum Klingen zu bringen und ein verbindendes akustisches Signal zu setzen. Die Aktion ist Teil des Europäischen Kulturerbejahres 2018.

Schillers Erbe gilt bis heute

Das Motto der Aktion nimmt Bezug auf Friedrich Schillers bekanntes Gedicht "Das Lied von der Glocke". Schiller beschreibt darin einen Glockenguss - der symbolisch für ein Menschenleben steht und auf Schillers Vorstellung von einer funktionierenden Gesellschaft verweist.

Dort heißt es zum Abschluss: "Friede sei ihr erst Geläute" - ein Auftrag, der auch heute noch Programm ist. Als noch nicht jeder eine Uhr hatte, riefen Glocken in Europa 1.000 Jahre lang zur Arbeit, zum Feierabend und zum Gebet auf.  Die Glocken in den Türmen der Kirchen und Rathäuser, in den Glockenstühlen der Friedhöfe und Gedenkstätten gelten daher als hör- und sichtbare Symbole eines europäischen Wertefundaments.

Der Klang ist interkulturell, braucht keinen Text und keine Sprache: Ob Domglocke, buddhistische Tempelglocke oder Shinto-Schrein-Glocke - sie alle stehen für Feierlichkeit, Zeitmarkierung, Transzendenz und die Sehnsucht nach Frieden.

Der Aktionstag wird vom Deutschen Nationalkomitee für Denkmalschutz mit koordiniert. Das Europäische Kulturerbejahr unter dem Motto "Sharing Heritage" (Das Erbe teilen) will Europa den Europäern näherbringen und den Blick für die verbindenden Dimensionen des materiellen und immateriellen Kulturerbes öffnen - über nationale Grenzen hinweg.

Zeugen und Gegenstand einer bewegten Geschichte

In Deutschland beteiligen sich zahlreiche Rathäuser, Glockentürme und Kirchen am Friedensläuten, darunter der Kölner und der Wormser Dom, die Dresdner Frauenkirche, die Marktkirche Hannover, der Hamburger Michel, die Gedächtniskirche in Berlin und die Stiftskirche Stuttgart. Aber auch zahllose kleinere Geläute vereinigen sich mit Glocken aus Estland, Schweden, Frankreich, Tschechien, Portugal, Irland und der Slowakei.

Glocken sind zugleich Zeugen und Gegenstand einer bewegten Geschichte. Sie verkündeten Krieg und Frieden - und wurden zweckentfremdet oder instrumentalisiert. Im Zuge von Kriegen wurden sie immer wieder eingeschmolzen und zu Waffen verarbeitet.

Spuren davon ziehen sich bis in die Gegenwart: Für Aufmerksamkeit sorgte jüngst etwa die Frage, wie mit Glocken umgegangen werden soll, die Hakenkreuze oder NS-Inschriften tragen. Das Nationalkomitee für Denkmalschutz verweist auch auf den Beginn des Dreißigjährigen Krieges 1618 und das Ende des Ersten Weltkriegs 1918.

"2018 ist auch ein Jahr der Erinnerung an zwei verheerende Kriege", sagt Geschäftsstellenleiter Uwe Koch. Wie kein anderer zuvor habe der Dreißigjährige Krieg Spuren von Zerstörung in Europa hinterlassen - und verdeutliche heutzutage den "außerordentlichen Wert des Friedens für Europa".

Das Wunder von Rostock

1648 wurde der Krieg in Münster und Osnabrück mit dem Westfälischen Frieden beendet. Damals läuteten überall die Glocken. Ein Friedenszeichen. Danach seien vor allem im Ersten Weltkrieg viele Geläute eingeschmolzen worden, erklärt Koch.

Der Aktionstag gibt auch Anlass, einen Blick auf buntere Glocken-Geschichte zu werfen. In Rostock etwa hat eine Glocke aus dem 16. Jahrhundert den Zweiten Weltkrieg überstanden.

Bei einem Bombenangriff 1942 wurde die Sankt-Petri-Kirche, in der die Glocke hing, schwer beschädigt, die Glocke selbst stürzte ab - und überstand das Ereignis "wie durch ein Wunder" unbeschädigt, wie Koch sagt. Der Glockenstuhl soll nun erneuert werden, damit die Glocke wieder klingen kann.

Die größten Glocken Deutschlands

Es ist nicht ganz so einfach, von der "größten" Glocke zu sprechen, da nicht immer klar ist, welches Kriterium dafür das Maß angibt. Nimmt man den Durchmesser oder die Höhe oder das Gewicht?

Von allem abgesehen ist die 1923 gegossene Petersglocke des Kölner Domes die größte und auch schwerste Glocke in Deutschland. Unter den freischwingend läutbaren Glocken der Welt nimmt sie mit offiziell geschätzten 24 Tonnen Platz Nummer 2 ein, da sie von der großen, etwa eine Tonne schwereren, Glocke in Bukarest abgelöst worden ist.

Wurde am 5. Mai 1923 gegossen – die Petersglocke im Kölner Dom / © Harald Oppitz (KNA)
Wurde am 5. Mai 1923 gegossen – die Petersglocke im Kölner Dom / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA