DOMRADIO-Redakteur Jan Hendrik Stens kommentiert den Kirchen-Tatort

Wut im Gotteshaus

Das Thema Sexualisierte Gewalt in der Kirche hat der "Tatort" an diesem Sonntag aufgegriffen. Doch kann ein Krimi die Thematik gerade mit Blick auf die Betroffenen angemessen aufgreifen? Jan Hendrik Stens hat sich die Folge angesehen.

Autor/in:
Jan Hendrik Stens
Die Abtei Mariawald in der nördlichen Eifel wurde für den Tatort "Schweigen" als Drehkulisse verwendet. / © NDR/Kai Schulz
Die Abtei Mariawald in der nördlichen Eifel wurde für den Tatort "Schweigen" als Drehkulisse verwendet. / © NDR/Kai Schulz

Gemischte Resonanz löste der Sonntagstatort aus, der sich erstmals im großen Umfang mit dem Thema Sexualisierte Gewalt in der katholischen Kirche auseinandersetzt. Nur 2 von 10 Punkten vergibt Christian Buß auf Spiegel.de und kritisiert, dass die Funktionsweisen des kirchlichen Machtapparats "in diesem grellen, auf Effekt angelegten 'Tatort' leider nicht offengelegt" werden. Auch Matthias Dell moniert in seinem "Obduktionsbericht" auf Zeit.de, dass der Skandal des Falls "hinter billigem Budenzauber" verschwinde.

Die Kirche und die Vertuschung

In der Tat bleibt der aktuelle Fall von Kommissar Falke bei der Perspektive von außen und zeichnet vor allem die unterschiedlichen Charaktere, die mit sexualisierter Gewalt an Minderjährigen durch Kleriker konfrontiert werden. Das ist einmal Kommissar Falke selbst, den der Fall emotional enorm mitnimmt, der es nicht fassen kann, dass Mitglieder der Institution, wo er nach Geborgenheit und seelischem Frieden suchte, solche Verbrechen begehen und dies auch noch von oberster Instanz gedeckt wird. Seine Kollegin, LKA-Beamtin Schwerdtfeger, ist da nüchterner und versucht, auch mit Kinderpornografie professionell umzugehen.

Wotan Wilke Möhring bei Dreharbeiten zum Tatort "Schweigen". / © NDR/Kai Schulz
Wotan Wilke Möhring bei Dreharbeiten zum Tatort "Schweigen". / © NDR/Kai Schulz

Eve Pötter, die eigentlich zuständige Kommissarin, scheint aufgrund ihrer eigenen kirchlichen Bindung überfordert, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Sie erachtet sogar wichtige Beweismittel als nicht relevant für den Fall. Erst als sie erfährt, dass ihr eigener Sohn Opfer des pädophilen Priesters geworden ist, kriegt sie die Kurve und verhaftet am Ende den Bischof.

"Es geht doch immer nur um Macht"

Stärkste Szene ist das Gespräch Falkes mit Bruder Jonas im Chorgestühl der ehemaligen Abteikirche. Dieser offenbart dem Kommissar, von den Verbrechen gewusst zu haben. Das Bistum habe er mit einem Brief informiert. Zur Polizei sei er damals aber nicht gegangen. Dass es nun Kommissar Falke nach 30 Jahren, wo alles verjährt ist, richten soll, bringt den Ermittler auf die Palme. Wütend wirft er ein Gesangbuch in Richtung Altar und Tabernakel und schreit dabei: "Das hat sich doch nur jemand ausgedacht, den Scheiß! Es geht doch immer nur um Macht." – An dieser Stelle wünscht man sich in der Liturgie die Fluchpsalmen zurück.

Jan Hendrik Stens / © Nicolas Ottersbach (DR)
Jan Hendrik Stens / © Nicolas Ottersbach ( DR )

Eine Stärke dieses Tatorts ist, dass die Vielschichtigkeit des Themas zumindest ansatzweise deutlich wird. Dass so etwas wie sexualisierte Gewalt in einer Institution wie der katholischen Kirche überhaupt möglich ist, liegt auch am Schweigen, Wegsehen und Nichtwahrhabenwollen. Der Täter, ein jugendbewegter Geistlicher, der mit Gitarre am Lagerfeuer und Fußballtraining den jungen Menschen Halt und Hoffnung gibt. So einer kann doch nicht schlecht sein. Dass hier Kinder aus schwierigen Verhältnissen, die beim Geistlichen Halt und eine Art Ersatzvater suchen, besonders anfällig dafür sind, zu Opfern zu werden, zeigt im Tatort Daniel Weinert, der Zimmernachbar von Kommissar Falke. Und dann werden in manchen Fällen auch Missbrauchsopfer selbst zu Tätern oder Vertuschern, wie in diesem Fall Generalvikar Billing.

Fernsehen kann wohl nicht ohne Klischees

Natürlich arbeitet auch dieser Tatort wieder mit Klischees und einigen Unschärfen. Die Frisur von Kommissarin Pötter ist grausam, die Fliesen in ihrem Badezimmer furchtbar. Mal ist Otto Wiegald Pfarrer, mal Pater. Wäre bei letzterem überhaupt die Diözese für ihn zuständig? Welcher deutsche Generalvikar sitzt in Soutane, die überdies auch noch zu kurz geschnitten ist, in seinem Büro? Und ein überdimensionierter Pileolus zählt auch nicht zur Zivilkleidung eines Bischofs.

Der Gärtner ist nicht der Mörder

Inhaltlich wird suggeriert, mit der Absolution in der Beichte sei die Welt wieder in Ordnung, womit sich Täter so von ihren Vergehen reingewaschen hätten. Dass Sünde auch nach der Vergebung noch zu sühnen ist – man spricht hier von zeitlichen Sündenstrafen –, war dem Drehbuchautor dann wohl doch zu kompliziert. Ferner unterliegt ein Geistlicher auch nicht einem Schweigegelübde, wenn er in einem normalen Gespräch etwas von einer Person erfährt.

Symbolbild Missbrauch / © Harald Oppitz (KNA)
Symbolbild Missbrauch / © Harald Oppitz ( KNA )

Alles in allem darf der Tatort "Schweigen" aber als gelungen gesehen werden, auch wenn er die kirchlichen Bemühungen um Aufklärung und Prävention unberücksichtigt lässt und hier ein sehr düsteres Bild zeichnet.

Quelle:
DR