DOMRADIO.DE: Angst hatte Bischof Gaillot nicht. Er hat sich vom Papst und vom hohen Klerus in Rom nicht einschüchtern lassen. Was machte ihn so mutig?
Bruder Peter Reinl OSA (Augustinerbruder in Würzburg): Bei ihm kommt da wirklich viel zusammen. Er kommt aus einem, wie ich denke und wie er erzählte, sehr gestandenen Elternhaus. Der Vater war Weinhändler, bodenständig, mit Arbeit verbunden. Ich glaube also, dass da von zu Hause aus schon einiges in die Wiege gelegt war.
Daneben glaube ich, dass sich bei ihm mehr und mehr, auch im Kontext des Algerienkrieges dieser Wunsch herausbildete, in der Kirche seinen Platz zu finden. Ich glaube, dass er immer ein sehr biblisches Fundament hatte, also dass er angetrieben war vom Alten Testament mit Propheten und Prophetinnen, die einfach eine klare Sprache sprachen und unerschrocken für das einstanden, was ihre Prinzipien waren. Und das hat ihn, glaube ich, auch so mutig gemacht. Er wusste, wofür er kämpft, er wusste, wofür er steht.
Und im Neuen Testament zweifellos das Auftreten eines Jesus von Nazareth, der einfach Menschen ins Leben zurückgeholt hat, der Menschen aufgerichtet hat und Menschen unterstützt hat. Ich glaube, dass auch das Biblische stark dazu beigetragen hat.
Und dann kommt für mich noch dazu, dass er einer war, der viel mit Menschen am Rande der Gesellschaft unterwegs war. Da haben wir mit Gaillot einfach jemanden gehabt, der unerschrocken mit den Leuten empathisch mitgelitten hat und andererseits sich dann auch unerschrocken eingesetzt hat für sie und ihre Interessen.
DOMRADIO.DE: Seine Kritik richtete sich auf Themen wie Zölibat oder Homosexualität. Bis heute sind das aktuelle Themen in der Kirche. Wie hat er denn seine Entpflichtung als Bischof aufgenommen? Wie ist er damit umgegangen?
Bruder Peter: Ich habe ihn erst einige Jahre nach dem Rauswurf kennengelernt. Da war er einer, der diesen Rauswurf sehr kreativ genutzt hat. Er hat diesen Abbruch, der angedacht war, zu einem Umbruch gemacht und zu einem Neuaufbruch. Der Abbruch von Rom her war natürlich ein "Canceln" seines Einflussbereiches. Er war nicht so dumm, sich als Bischof emeritus einfach niederzulassen, sondern hat sein Titularbistum Partenia im Internet ausgebaut. Das war dann plötzlich ein Ort, an dem Menschen, die sich in der institutionell verfassten Kirche nicht mehr zu Hause fühlten, ihre Heimat fanden.
Er hat das also kreativ umgewandelt. Er hat in keiner Weise denen, die in Rom als Tribunal vor ihm saßen, den Wunsch erfüllt, zu schweigen. Er hat noch mal stärker seinen Einflussbereich ausgeweitet. Damit hatte er die Möglichkeit, für seine Ideen zu werben, was die Würde des Menschen angeht, und damit ein viel größeres Publikum zu erreichen.
DOMRADIO.DE: Die Entpflichtung gab es durch Johannes Paul II. Mit Papst Franziskus gab es allerdings später ein Gespräch. Kann man da von einer Versöhnung sprechen?
Bruder Peter: Von dem Gespräch hat er mir für seine Verhältnisse verhältnismäßig ausführlich erzählt, weil es ihn gefreut hat. Er erzählte mir: "Du, stell dir vor, bei mir auf dem Anrufbeantworter ruft es an. Hier ist Franziskus, der Papst. Und ich würde gerne mit Ihnen reden. Ich möchte gerne, dass Sie mich besuchen." Dann haben sie ein paar Mal aneinander vorbei telefoniert. Und dann ist er dort hingefahren nach Rom und hat sich mit ihm unterhalten.
Es ist ja keine Rehabilitierung erfolgt. Aber er hat auch nicht um Rehabilitierung gekämpft, sondern er hat weiter seine ganze Kraft und Energie eingesetzt für die Menschen, für die er da sein wollte. Der Besuch beim Papst hat ihm gutgetan, das kann ich auf jeden Fall sagen. Das hat er mehrfach so benannt, dass ihn das tatsächlich gefreut hat, mit ihm locker und normal zusammensitzen zu können und sich austauschen zu können.
DOMRADIO.DE: "Die Aufgabe des Priesters ist es, die Menschen daran zu erinnern, dass sie Priesterinnen und Priester sind." Das hat Bischof Gaillot Ihnen gesagt. Wie hat er das gemeint?
Bruder Peter: Ihm ging es darum, in unserer Kirche - innerkirchlich gedacht und innertheologisch - deutlich zu machen, dass wir ein Charisma haben. Bei der Taufe werden wir alle miteinander gesalbt zu Priester, Priesterinnen, Königinnen und Königen, Prophetinnen und Propheten. Und diese Würde, die aus der Taufe entspringt, die einfach ernst zu nehmen - das war ihm wichtig.
Es geht ja zweifellos um ein Thema, das ihm sehr wichtig war, das wir auch hier in Würzburg in unserer Kirche versucht haben umzusetzen, nämlich die Statusgleichheit. Ich hatte mit meiner persönlichen Geschichte wirklich lange damit gehadert, ob ich als Ordensmann auch die Priesterweihe anstreben sollte. Gaillot sagte dann zu mir: Der größte Sündenfall der Kirche war, dass sie das eine Volk Gottes wieder in zwei Status, nämlich in Kleriker und Lehen eingeteilt hat. Und das steht auch hinter der Aussage. "Erinnere die Leute daran, dass sie Priesterinnen und Priester sind."
DOMRADIO.DE: Was wird von ihm bleiben? Wie würden Sie das Vermächtnis von Bischof Gaillot zusammenfassen?
Bruder Peter: Ich kann es Ihnen tatsächlich nicht sagen. Ich erinnere mich an eine Überschrift zu Papst Franziskus: Spuren im Sand. Also im Prinzip einer, der Spuren hinterlässt, aber die wird der Sand wieder zu wehen. Bei Gaillot kann ich es nicht sagen. Ich glaube, sein Vermächtnis ist, dass er für viele Jahrzehnte die Menschenfreundlichkeit Gottes gezeigt und gelebt hat. Und das wird, glaube ich, in vielen Menschen weiterwirken. Er hat sich um die Leute am Rand gekümmert und hat damit, glaube ich, vielen, die sich jetzt auch kirchlich, aber auch in anderen Organisationen engagieren, einen Weg gezeigt, in welche Richtung unser Engagement gehen kann.
Strukturell hat er meines Wissens nichts verändert. Aber dafür war ihm auch seine Energie zu schade. Er hat zu mir mal am Telefon gesagt "Peter, wir sind geschaffen, um zu befreien." Darum geht es. Das sind so Sätze, die Vermächtnis sind und wo ich hoffe, dass es viele mitbekommen und für sich auch umsetzen in ihrem eigenen Leben.
In den Strukturen weiß ich es nicht. Vielleicht hat er da auch manches hinterlassen. Aber er hat auf jeden Fall über Jahrzehnte Menschen ein Stück Geleit gegeben und Wegweisung. Und ich glaube, dass manche Sätze wie zum Beispiel "Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts." Oder eben auch "Wir sind geschaffen, um zu befreien." ihn, glaube ich, ganz lange überdauern werden. Im Grunde ist das zutiefst jesuanisch.
Das Interview führte Katharina Geiger.