Der Bundestag stimmt an diesem Donnerstag über das geplante Bürgergeld ab. SPD, Grüne und FDP werden das Gesetz voraussichtlich mit ihrer Mehrheit beschließen - gegen den Widerstand der Opposition. Die Union, auf deren Zustimmung die Ampel später aber im Bundesrat für eine endgültige Verabschiedung des Bürgergelds angewiesen ist, hat den angepeilten Wechsel weg vom bisherigen Hartz-IV-System in den vergangenen Wochen immer wieder scharf kritisiert und droht mit einer Blockade in der Länderkammer.
Aus Sicht von CDU und CSU senkt das Bürgergeld die Motivation, eine Arbeit anzunehmen und schafft "Anreize zur Einwanderung in unser Sozialsystem", wie CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt erst kürzlich sagte. Die AfD argumentiert ähnlich: Die Anreize, "sich in die Hängematte zu legen", nähmen zu, sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Bernd Baumann. Linkspartei und Sozialverbände kritisieren das Bürgergeld dagegen als zu niedrig. Das sind die Pläne der Ampel:
Regelsätze
Der heutige Hartz-IV-Regelsatz von 449 Euro für Alleinstehende soll auf 502 Euro angehoben werden. Dass es mindestens so viel sein muss, ist wegen der stark gestiegenen Lebenshaltungskosten unstrittig. CDU und CSU hatten vorgeschlagen, die Anhebung aus dem Bürgergeld-Gesetz herauszulösen, damit die Erhöhung zum 1. Januar umgesetzt werden kann. Über den Rest des Gesetzes könne man dann später diskutieren. Die Ampel-Koalition lehnt das ab.
Systemwechsel weg von Hartz IV
Kern der Reform ist ein Systemwechsel: Vor 20 Jahren hatte der damalige Bundeskanzler Gerard Schröder (SPD) eine Kommission eingesetzt unter der Leitung von Ex-VW-Manager Peter Hartz. Aus deren Vorschlägen für Arbeitsmarkt- und Sozialreformen gegen die damalige Massenarbeitslosigkeit entstanden mehrere Gesetze: «Hartz I» bis «Hartz IV». Der Druck auf Arbeitslose wurde erhöht, was zu Protesten führte und dazu, dass auch die Sozialdemokraten zunehmend unter Druck gerieten. Schröder verlor die Bundestagswahl 2005 und neben der SPD etablierte sich die Linkspartei. Nun soll Hartz IV weg.
SPD-"Traumabewältigung"?
Dass die SPD das Bürgergeld nun zur "Traumabewältigung" brauche, wie es in der Union heißt, nennt Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im aktuellen Podcast der SPD-Bundestagsfraktion "Quatsch". "Wir hatten damals Massenarbeitslosigkeit, wir reden heute über Arbeitskräftemangel." Deshalb brauche es eine grundlegende Reform mit "Entbürokratisierung, Befähigung, Qualifizierung und verlässliche(r) Absicherung".
Arbeitslose sollen den Plänen zufolge künftig weniger durch angedrohten Leistungsentzug (Sanktionen) unter Druck gesetzt und dafür bei Weiterbildungsmaßnahmen stärker unterstützt werden. Zudem sollen Vorgaben zur erlaubten Vermögenshöhe und zur Wohnungsgröße bei Leistungsbeziehern gelockert werden.
"Vertrauenszeit" und "Karenzzeit»"
Zwei der Schlagwörter im Bürgergeld-Gesetz. Man wolle niemanden unter Generalverdacht stellen, heißt es von der Ampel. Deshalb sollen Leistungen in den ersten sechs Monaten des Bürgergeldbezugs ("Vertrauenszeit") nur in Ausnahmefällen gekürzt werden, wenn jemand beharrlich mit dem Jobcenter nicht kooperiert. Für die ersten beiden Jahre ("Karenzzeit") soll zudem niemand sein Vermögen antasten müssen, es sei denn, es ist «erheblich» und liegt über 60 000 Euro, plus 30 000 Euro für jedes weitere Haushaltsmitglied. Auch ein Umzug in eine kleinere Wohnung soll in der Karenzzeit nicht nötig sein.
"Schonvermögen"
Auch nach zwei Jahren Bürgergeldbezug soll mehr Vermögen als bisher unangetastet bleiben. Das betrifft auch Anlagen zur Altersvorsorge oder Eigenheime bis 140 und Eigentumswohnungen bis 130 Quadratmetern. Es gehe nicht um große Villen im Tessin, sagt Heil. "Es geht um die Frage, dass Leute, die sich im Leben etwas erarbeitet haben, wenn sie in Not geraten, nicht alles auf den Kopf hauen müssen." Betroffene sollten «den Kopf frei haben sich zu qualifizieren und weiterzubilden, neue Arbeit zu suchen und sollen sich nicht rumschlagen müssen mit dem Aufbrauchen von Vermögenswerten oder dem Auszug aus der bisher bewohnten Wohnung», sagte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert vor kurzem im Deutschlandfunk.
Weiterbildung
Zusätzlich zum Bürgergeld soll es 150 Euro Weiterbildungsgeld pro Monat geben, wenn jemand einen Berufsabschluss nachholt oder 75 Euro zusätzlich, wenn andere Weiterbildungsmaßnahmen angenommen werden. Den sogenannten Vermittlungsvorrang will die Ampel abschaffen. Ziel soll es demnach künftig nicht mehr sein, Betroffene möglichst schnell in irgendeinen Job zu vermitteln, sondern durch Weiterbildung für eine dauerhafte Tätigkeit vorzubereiten. Hier wird auch mit dem Fachkräftemangel argumentiert. Auf den Weiterbildungsteil im Gesetz legt vor allem die FDP in der Ampel wert, die mit einigen anderen Teilen des Bürgergelds auch ihre Bauchschmerzen hatte, wie die koalitionsinternen Beratungen im Sommer gezeigt hatten. (dpa, 10.11.2022)