Jüdische Organisation fordert Namen von Holocaust-Waisen

Neuer Streit um alte Fragen

Wenige Tage vor der Papstreise nach Israel ist ein altes Streitthema wieder aufgeflammt, das schon in früheren Jahren für heftige Debatten sorgte: Die angeblich massenhaft von katholischen Familien versteckten und getauften jüdischen Holocaust-Waisen. Benedikt XVI. solle die Namen dieser Waisen freigeben, forderte zu Wochenbeginn die Organisation Yad L'Achim in Jerusalem.

Autor/in:
Johannes Schidelko
 (DR)

Während des Holocaust hätten jüdische Familien «Tausende» Kinder in die Obhut christlicher Familien gegeben, um deren Leben zu retten, betonte Rabbi Schalom Dov Lifshitz. In vielen Fällen seien diese Kinder getauft worden. Die Adoptiveltern hätten ihnen jedoch Informationen über ihre jüdische Identität vorenthalten, so die Organisation, die sich gegen christliche Mission und Missionare unter Juden einsetzt.

Eine offizielle Reaktion des Heiligen Stuhls auf die Forderung aus Jerusalem gibt es bislang nicht. Aber Vatikan-Prälaten sind über Inhalt wie Zeitpunkt irritiert. Schon Ende 2004 hatte die Frage für Diskussionen gesorgt, als ein angebliches Vatikan-Dokument aus dem Jahr 1946 an den damaligen Nuntius Giuseppe Roncalli in Paris publik wurde. Danach soll Papst Pius XII. die Rückführung jüdischer Kinder, die in Frankreich vor den Nazis in kirchlichen Einrichtungen oder bei katholischen Familien versteckt waren, untersagt haben. Der spätere «gute» Papst Johannes XXIII. habe jedoch die römische Order teilweise unterlaufen. Freilich ermittelten Experten rasch, dass es sich bei der Enthüllung nicht um ein Original sondern um eine französische Kurzfassung handelte, die neben dem falschen Datum auch noch sinnentstellende Verkürzungen aufwies.

Das Original, das sich im nationalen Archiv-Zentrum der Kirche Frankreichs in Paris befindet, relativierte die Behauptungen. Die Note des vatikanischen Außenministers Domenico Tardini an Nuntius Roncalli vom 23. Oktober 1946 stellte klar, dass aufgenommene jüdische Waisen sofort zurückkehren müssten, wenn sich ein leiblicher Verwandter - Onkel, Tante oder Großeltern - melden sollte. Falls sich kein Angehöriger finde, sollten die Kinder zunächst in den Familien bleiben. Im fortgeschrittenen Alter (etwa ab 14 Jahren) solle man ihnen dann ihre Herkunft mitteilen und ihnen - nach Gesprächen mit einem Rabbiner und einem katholischen Priester - anheimstellen, ob sie jüdisch oder katholisch sein wollten. Eine Taufe jüdischer Pflegekinder hatten die französischen Bischöfe strikt untersagt. Allerdings wurde die Vorschrift offenkundig von einigen eifrigen Ordensfrauen großzügig ausgelegt.

Der Vatikan lehnte mit seiner Note an Nuntius Roncalli in Paris einen Antrag von jüdischer Seite ab, die Kirche solle diese Waisenkinder sofort aus ihren bisherigen Familien herausnehmen und - mit Blick auf die Gründung eines jüdischen Staates - an jüdische Organisationen übergeben. Ein entsprechendes Gesuch hatten der Jerusalemer Oberrabbiner Isaac Herzog an den Papst und ähnlich auch der Pariser Rabbiner Isaiah Schwartz an Roncalli gerichtet. Waisenkinder, die der Fürsorge der Kirche übergeben wurden, könnten, auch wenn sie nicht getauft wurden, keinem Unberechtigten übergeben werden, lautete die vatikanische Antwort. Jedoch sei es etwas anderes, «wenn die Kinder von ihren Angehörigen zurückgefordert werden».

Inhalt, Stil und Termin der neuen Forderung aus Jerusalem werden im Vatikan mit Sorge gesehen, zumal von der Gegenseite zu wenig anerkannt werde, dass Tausende jüdischer Waisenkinder auf diesem Weg von katholischen Familien gerettet wurden. Nach bisherigem Stand der Forschung scheint es, dass es bei den jüdischen Waisen am Ende des Krieges unterschiedliche Schicksale gab: So habe etwa die jüdische Brigade, die sich 1944 an der alliierten Befreiung Roms beteiligte, in kirchlichen Klöstern und Institutionen keine jüdischen Kinder mehr vorgefunden - sie waren offenbar rasch bei Angehörigen untergebracht worden, betonten Kirchenhistoriker.