Kirchen bewerten Kandidatur von Pfarrern unterschiedlich

Theologen auf dem Stimmzettel

Wenn die Wähler in NRW am Sonntag über eine neue Landesregierung abstimmen, entscheiden sie auch über das politische Schicksal einiger Theologen. Kirche und Politik ist aus Sicht der Kandidaten kein Widerspruch. Evangelische und katholische Kirchen bewerten das politische Engagement von Pfarrern jedoch unterschiedlich.

Autor/in:
Holger Spierig
 (DR)

«Bildungsgerechtigkeit, Armut und Frieden - das sind doch Themen, bei denen ich mir wünsche, dass sich auch die Kirche einmischt», erzählt Martin-Sebastian Abel. Der 24-jährige Student der evangelischen Theologie aus Düsseldorf kandidiert auf Platz 26 der Landesliste der Grünen. Als Theologiestudent fühlt er sich bei seiner Partei gut aufgehoben. «Wir fordern nicht nur Toleranz, sondern sind auch eine tolerante Partei», erklärt er. Das bedeute, dass auch kirchenkritische oder muslimische Parteifreunde akzeptierten, dass er für ein christliches Menschenbild einstehe.
Pfarrer für Piraten
Genauso wie seine Partei vor den Gefahren eines Überwachungsstaates warne, würde er das auch als Pfarrer tun, erklärt der Lemgoer evangelische Pfarrer Hans Immanuel Herbers. Der 51-jährige Pfarrer im Wartestand in der Lippischen Landeskirche ist landesweit der erste Theologe, der für die Piratenpartei in den Landtag einziehen will. «Der Mensch ist keine Nummer, sondern hat die von Gott verliehene Würde als ein einzigartiges Wesen», sagt Herbers, der von den Grünen zu den Piraten wechselte.

Der Theologiestudent Abel, der 1985 noch in der DDR zur Welt kam, steht mit seiner Biografie für die Verbindung von politischem und kirchlichem Engagement. Seine Mutter war als Lehrerin im Staatsdienst beschäftigt. Auch größter Druck habe die Mutter nicht davon abhalten können, ihren Sohn taufen zu lassen, erzählt der gebürtige Leipziger anerkennend.

Schon in der DDR habe die Familie mit der stark kirchlich geprägten Bürgerrechtsbewegung sympathisiert. Als die Mutter schließlich mit dem vierjährigen Sohn über die Prager Botschaft in den Westen floh, hätten sie auch dort die Hilfsbereitschaft der Kirchen erlebt. In der grünen Partei sieht Abel auch eine Würdigung der Bürgerrechtler. Den Namen der ostdeutschen Schwesterpartei «Bündnis 90» trage die grüne Partei ja auch noch heute in ihrem Namen.


Freistellung ohne Bezahlung
In den evangelischen Kirchen in Nordrhein-Westfalen werden Pfarrer, die ein politisches Amt ausüben, ohne Bezahlung freigestellt. Zwei Monate vor der Wahl sind sie vom kirchlichen Dienst beurlaubt. Pfarrerinnen und Pfarrer sollten ihre Bürgerrechte mit der Übernahme eines politischen Mandats wahrnehmen können, erklärt Sprecher Jens Peter Iven für die Evangelische Kirche im Rheinland. Nach Paragraf 39 des Pfarrdienstgesetzes blieben sie jedoch bei Äußerungen zu Fragen des öffentlichen Lebens und politischer Betätigung ihrem Auftrag verpflichtet. Auch sind sie laut Gesetz ihren Dienst allen Gemeindemitgliedern ohne Ansehen ihrer politischen Einstellung schuldig.

Grundsätzlich befürworte er politisches Engagement, sagt auch der lippische Landessuperintendent Martin Dutzmann, der für den Lemgoer Pfarrer Herbers zuständig ist. Die Gemeinde müsse jedoch auseinanderhalten können, wann zu ihnen der Pfarrer spreche und wann der Politiker.
Katholische Kirche: Entweder oder
In den katholischen Kirchen hingegen wird eine Ausübung von politischen Ämtern grundsätzlich vom Kirchenrecht ausgeschlossen. Ausnahmefälle müssten speziell genehmigt werden, wie der Sprecher des Erzbistums Paderborn, Ägidius Engel, erläutert. Eine Kandidatur von Pfarrern oder Priestern sei auch im Bistum Münster «völlig unüblich», erklärt Sprecher Karl Hagemann. Sehr wohl stellten sich jedoch Laien aus der Kirche zur Wahl. Etwa der Direktor der Bistumsakademie, Thomas Sternberg, der kulturpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion ist. Ebenfalls für die CDU treten ein Gladbecker Lehrer mit einem katholischem Theologiestudium und ein ehemaliger Verwaltungsleiter des Evangelischen Kirchenkreises Lüdenscheid an.

Auch weitere kirchliche Vertreter kandidieren bei der Wahl am Sonntag, unter anderem ein katholischer Diplom-Theologe aus Witten für die Familien-Partei Deutschlands. Ein freikirchlicher Pastor aus Bad Salzuflen will für die Partei für Arbeit, Umwelt und Familie (AUF) in den Landtag einziehen. Und ein Kölner katholischer Pastoralreferent stellt sich für die Ökologisch-Demokratische Partei (ödp) zur Wahl.

«Da muss dringend etwas passieren»
Den Ausgang der Landtagswahl am Sonntag verfolgen die beiden kandidierenden evangelischen Theologen mit gemischten Gefühlen.
Herbers hat sich vorgenommen, im Fall seiner Wahl auch in der Kirche mehr Transparenz einzufordern. Die Inanspruchnahme öffentlicher Gelder für Kindergärten, Krankenhäuser und Sozialeinrichtungen sei nur dann vertretbar, wenn sich die Kirche nicht abschotte oder antidemokratisch verhalte. «Da muss dringend etwas passieren», findet Herbers.

Wenn Abel für die Grünen in das Landesparlament einzieht, muss er klären, wie er sein Theologiestudium abschließen kann. Denn die Perspektive, einmal Pfarrer zu sein, wolle er trotz politischer Ambitionen nicht aufgeben, sagt der 24-Jährige. «Auch im Falle meiner Wahl würde ich das Studium auf keinen Fall an den Nagel hängen.»