Brasiliens Indios kämpfen um ihre Rechte

Zwischen Sojabauern und Staudämmen

Brasiliens Indios wehren sich. Sie wollen keine industrielle Landwirtschaft, keine gigantischen Infrastrukturprojekte. Und sie wehren sich gegen die Bedrohung ihrer Siedlungsgebiete. Und gleichzeitig kämpfen sie gegen die tief in der Gesellschaft verwurzelte Diskriminierung, die sich in offener Gewalt und verstecktem Rassismus äußert.

Autor/in:
Thomas Milz
 (DR)

Die Menschen, die den mehr als 200  Urvölkern Brasiliens angehören, wollen endlich respektiert werden.  Doch trotz kleiner Fortschritte gibt es für sie am Tag der indigenen  Völker, der am Montag begangen wird, wenig zu feiern.

Vor wenigen Tagen begrüßten Vertreter der indigenen Bevölkerung die  Einrichtung einer eigens für sie zuständigen Gesundheitsbehörde, der  «Sesai» - ihr erster Sieg während der fast achtjährigen  Regierungszeit von Staatspräsident Luiz Inacio Lula da Silva,  meinten einige. Erschreckende Statistiken des Indio-Missionsrates  der katholischen Kirche CIMI hatten immer wieder die Inkompetenz der  staatlichen Gesundheitsbehörde FUNASA aufgezeigt: Mindestens 41  Erwachsene und 9 Kinder sollen allein 2009 aufgrund mangelhafter  Gesundheitsbetreuung gestorben sein.

Nun soll die neu geschaffene Sesai die Aufgabe übernehmen. Doch aus  der anfänglichen Freude ist bereits Skepsis geworden. «Indem man der  Behörde einen neuen Namen gibt, ändert man nichts an den  Realitäten», warnt Kaka Wera Jecupe, ein Aktivist vom Stamm der  Tapuia-Indianer im Bundesstaat Sao Paulo. «Entscheidend ist, dass  sich das Verhältnis der Regierungsbehörden zu den Indios ändert.»

Symptomatisch sei der Umgang der Regierung mit den Ureinwohnern, die  gegen den Bau des Belo-Monte-Staudamms kämpfen. «Es ist traurig, wie  die Regierung keinerlei Respekt für die dort lebenden Indios, ihre  verschiedenen Kulturen und für die Artenvielfalt der Region zeigt»,  sagt Kaka Wera. Der Damm bedroht die Lebensgrundlage der Indios am  Xingu-Fluss im Bundesland Para. Trotzdem hat die Regierung auf die  qua Verfassung vorgeschriebenen öffentlichen Anhörungen der lokalen  Bevölkerung verzichtet. Erbost errichteten die Indios Straßen- und  Flussblockaden und kampierten vor Regierungsgebäuden der Hauptstadt  Brasilia. Doch dort ist man entschlossen, das Projekt durchzuziehen.

Seit den Anfängen der Kolonialisierung Brasiliens sei der Indio als  soziale Figur verneint und sein Land von den Siedlern gestohlen  worden, meint Lucia Helena Rangel, Mitautorin eines CIMI-Berichtes,  der allein für das vergangene Jahr 60 Morde an Nachfahren der  Ureinwohnern auflistet. «Mit Sicherheit kann man sagen, dass die  Hälfte dieser Morde auf Landkonflikte zurückgeht», urteilt sie.  Zudem würden die Indioführer, die für ihre Landrechte kämpfen, von  der Agrarlobby öffentlich kriminalisiert. Die Agrarindustrie nämlich  will die Indio-Gebiete des Zentralwestens und des Nordens für ihre  Sojapflanzungen und für die industrielle Viehwirtschaft nutzen.

Der Landkonflikt und die Überbelegung zahlreicher Reservate  verschärften den Druck auf die Indios noch weiter, so Rangel: «Es  gibt wenige demarkierte Gebiete, und die sind überbevölkert. Deshalb  können die Indios hier nichts anpflanzen.» Zudem weise die  Indiobehörde FUNAI oft verfeindeten Stämme ein gemeinsames  Siedlungsgebiet zu. So komme es zu internen Spannungen, die durch  den Konsum von Alkohol und Drogen weiter verstärkt würden.

Eine Umkehr in der Indio-Politik hatten sich viele Aktivisten vom  Amtsantritt von Präsident Lula Anfang 2003 versprochen. «Wir hatten  eigentlich erwartet dass eine Regierung, die von einer  Arbeiterpartei angeführt wird, in diesen Bereichen ihre Priorität  anders setzt», sagt Rangel; «aber wir haben uns getäuscht.» Kaka  Wera urteilt, in der Mittel- und Oberschicht des Landes sei die  Akzeptanz der Ureinwohner und ihrer Anliegen zwar gestiegen.  Dennoch: «Für die Politiker ist der Indio immer noch ein Störenfried  - und für die unteren Bevölkerungsschichten lediglich eine exotische  Figur.»