Deutsche Politiker und die katholische Bischofskonferenz haben sich gegen die Forderung eines türkischen Abgeordneten gewandt, das Kreuz im Gerichtssaal des NSU-Prozesses zu entfernen. "Das Kreuz gehört dahin, wo es hängt: in den Gerichtssaal“, sagte der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, laut der "Bild“-Zeitung (Mittwoch). CDU/CSU-Bundestagsfraktionsvize Günter Krings sagte dem Blatt, das Kreuz symbolisiere Nächstenliebe und Toleranz und sei Ausdruck der christlich-abendländischen Wurzeln. "Es ist gut und richtig, auch im Gericht daran erinnert zu werden“, so Krings.
Der Parlamentarier Mahmut Tanal hatte das Kreuz beim NSU-Prozess in München als "Verletzung des laizistischen Rechtsstaates“ bezeichnet.
Das christliche Symbol sei ein Zeichen der "Bedrohung“ für Nichtchristen, sagte Tanal, Abgeordneter der säkularistischen Oppositionspartei CHP und Mitglied der türkischen Beobachter-Delegation, laut türkischen Medien am Dienstag. Er forderte seine Entfernung.
Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) verteidigte die Kruzifixe in bayerischen Gerichtssälen. Das Kreuz im Gericht sei "ein Bekenntnis zu den christlich geprägten Grundwerten unserer Gesellschaft und unseres Rechts", erklärte Merk. Damit werde die Verpflichtung des Staates zu religiöser Neutralität nicht verletzt. Ob im NSU-Prozess vor dem Münchner Oberlandesgericht das Kreuz dennoch abgenommen werden muss, weil ein Prozessbeteiligter dies verlange, ließ Merk offen. Das werde vom Gericht in richterlicher Unabhängigkeit entschieden.
Immer wieder Streit um Kreuze
Um Kreuze in öffentlichen Gebäuden wie Gerichtssälen und Klassenräumen gab es immer wieder Streit. 1936 nahmen die Nazis ihren "Kreuzerlass", der die Entfernung der Kreuze und Luther-Bilder aus Schulen im Südteil des Oldenburger Landes befahl, nach massiven Protesten zurück. 1973 entschied das Bundesverfassungsgericht, eine Gerichtsverhandlung in einem Saal mit einem Kreuz könne das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit eines Prozessbeteiligten verletzen.
Immer wieder gab es deshalb heftige öffentliche Diskussionen, weil Gerichte keine Kreuze mehr aufhängen wollten. 1995 stellte das Bundesverfassungsgericht fest, "dass die staatlich angeordnete Anbringung eines Kreuzes in den Unterrichtsräumen einer staatlichen Pflichtschule, die keine Bekenntnisschule ist, gegen das Grundgesetz verstößt". Die bayerische Landesregierung griff allerdings zu einem Gesetzeskniff: Durch eine sogenannte Widerspruchslösung dürfen Kruzifixe in Schulen bleiben, solange niemand protestiert.
Der Streit um Kreuzesdarstellungen findet auch auf europäischer Ebene statt. Im Januar entschied ein Warschauer Bezirksgericht, dass ein Kreuz im polnischen Parlament hängen bleiben darf. Ebenfalls im Januar sprach der Europäische Menschenrechtsgerichtshof einer Mitarbeiterin von British Airways das Recht zu, ein Kreuz über der Uniform zu tragen. Im März 2011 erklärte in Italien eine Große Kammer des Gerichtshofs in der letzten Instanz Kruzifixe in Klassenzimmern für zulässig.