Proteste gegen Todesurteil gegen bulgarische Krankenschwestern

Nooke fordert Konsequenzen nach Todesurteilen in Libyen

Nach den umstrittenen Todesurteilen in Libyen hat der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke
(CDU), stärkeren Druck auf die Regierung in Tripolis gefordert. Nooke
sagte am Mittwoch im RBB-Inforadio, die Vorwürfe gegen die fünf
bulgarischen Krankenschwestern seien "so absurd, dass man nur mit
offenem und verdeckten diplomatischen Druck versuchen kann", die
libysche Führung zum Umdenken zu bewegen. Ein Berufungsgericht in Tripolis hatte am Vortag die bereits 2004 verhängten Todesurteile gegen die Krankenschwestern und einen palästinensischen Arzt bestätigt.

 (DR)

Ihnen wird vorgeworfen, bei ihrer Arbeit in einem Krankenhaus von Bengasi mehr als 400 Kinder vorsätzlich mit dem AIDS-Virus infiziert zu haben. Wissenschaftler haben nachgewiesen, dass die Erreger schon vor der Ankunft der Krankenschwestern, 1998 im Krankenhaus waren. Alle neun libyschen Mitangeklagten wurden schon 2003 freigesprochen. Die sechs jetzt Verurteilten sitzen seit sieben Jahren im Gefängnis.

Die Europäische Union hatte mit Entsetzen und Empörung auf die Urteile reagiert. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat die Bestätigung der Todesurteile scharf verurteilt. Sein Sprecher sagte in Brüssel: "Präsident Barroso und die EU-Kommission sind von dem Urteil geschockt. Es ist schlicht nicht akzeptabel." Die Kommission hoffe, dass mit der Angelegenheit nun eine höhere Instanz betraut werde.

Nooke betonte, man sollte darüber nachdenken, "einzelne Gelder von Entwicklungshilfeprojekten auszusetzen". In dem Fall gehe es um "schlichte Machtsicherung" der libyschen Führung. "Ich glaube, dass man auch die Gelder, die nach Libyen gehen, nutzen sollte, um zu sagen, so geht es nicht."

EU stellt die Zusammenarbeit mit Libyen in Frage
EU-Justizkommissar Franco Frattini stellte die Kooperation mit Libyen in Frage. "Die Zusammenarbeit mit der Europäischen Union kann nicht auf einer anderen Grundlage stattfinden, als der des Respekts der Grundrechte", sagte Frattini. Er hoffe noch auf "eine Möglichkeit des Nachdenkens" bei den libyschen Verantwortlichen.

Bulgarien forderte die Regierung in Tripolis auf, die Verurteilten nicht hinzurichten. Staatspräsident Georgi Parwanow und Regierungschef Sergej Stanischew erklärten ihre "kategorische Ablehnung" der Todesurteile, über die sie "zutiefst empört" seien.

Forscher sprechen die Angeklagten von jeder Schuld frei
Im Prozess um die angeblich vorsätzliche Aids-Infektion von hunderten Kindern in Libyen hatten die angeklagten bulgarischen Krankenschwestern Rückendeckung aus der Wissenschaft erhalten. Die fünf Frauen und der mit ihnen angeklagte palästinensische Arzt seien unschuldig, heißt es im Bericht eines internationalen Forscherteams, der im Wissenschaftsmagazin "Nature" veröffentlicht wurde. Nach Gen-Untersuchungen müsse das HI-Virus im Krankenhaus von Benghasi schon vor Arbeitsbeginn der medizinischen Helfer im März 1998 verbreitet gewesen sein. Wahrscheinlicher Infektionsweg sei die Benutzung von verschmutzten Spritzen und nicht sterilisiertem Transfusionsmaterial.

Virus kam aus Westafrika
248 der in Libyen erkrankten Kinder wurde in europäischen Krankenhäusern behandelt, dadurch konnten Wissenschaftler an Proben gelangen. Die Untersuchung ergab, dass das Virus zu einer Klasse gehörte, die zuerst in Westafrika aufgetaucht war. Das Virus war zudem nur wenig mutiert, was darauf hindeutet, dass es direkt aus der Region stammt. Auch das Vorkommen des gleichfalls untersuchten Hepatitis-C-Virus bei den Kindern lasse darauf schließen, dass . Seine Varianten stammen demnach aus Ägypten oder Kamerun. Die Herkunft der HIV- und Hepatitis-Erreger aus Afrika und dem Nahen Osten sei angesichts der großen Zahl von Einwanderern in Libyen nicht verwunderlich.

Gaddafi in der Zwickmühle
Der frühere Terroristen-Freund Gaddafi hat erst vor wenigen Jahren Terror und Massenvernichtungswaffen abgeschworen. Dafür wurde der Revolutionsführer mit der Aufhebung jahrelanger UN-Sanktionen gegen Libyen belohnt. "Das Problem mit dem Aids-Drama ist die letzte große Hürde auf dem Weg zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Libyen und dem Westen", sagt nun ein europäischer Diplomat in Tripolis.

Zum anderen steht die libysche Führung innenpolitisch unter Druck. Auslöser für den Ausbruch der Aids-Epidemie in einer Klinik waren nach Überzeugung der westlichen Mediziner katastrophale Hygienezustände - so seien wegen Materialmangels Spritzen mehrfach verwendet und den Kindern nicht getestete Blutkonserven verabreicht worden. Die Angehörigen der Opfer verlangen Schadensersatz und fordern lautstark Todesurteile und "Gerechtigkeit".