Vatikan: Kardinal fordert Aufnahme der Türkei in die EU - Nationalisten erschweren Reformen

Erdogans Triumph

Die Regierungspartei AKP von Ministerpräsident Erdogan errang bei den Parlamentswahlen in der Türkei einen deutlichen Sieg - auch dank der Stimmen der christlichen Minderheit. Erdogan kündigte gleich nach der Wahl weitere Reformen an. Doch ohne EU-Perspektive werde sich die Türkei dem islamischen Fundamentalismus annähern, fürchtet Kardinal Sebastiani, Präsident der Präfektur für wirtschaftliche Angelegenheiten im Vatikan.

 (DR)

Der "Finanzminister" des Vatikans, Kardinal Sergio Sebastiani,  begrüßte in der Mailänder Tageszeitung "Corriere della Sera" vom Montag den Sieg der Regierungspartei AKP bei den Parlamentswahlen vom Wochenende. Der Präsident der Präfektur für wirtschaftliche Angelegenheiten des Heiligen Stuhls hat die Wahl zum Anlass genommen, die Aufnahme der Türkei in die Europäische Union zu fordern. Sebastiani war viele Jahre Botschafter des Heiligen Stuhls in Ankara.

Das Wahlergebnis sei positiv, da es Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, weitere Reformen ermögliche und zugleich verhindere, dass er die laizistische Grundlage des türkischen Staates verändere. "Als geschickter Verhandlungsführer wird er seine bipolare Politik zwischen Europa und der arabischen Welt fortsetzen", vermutet der Kardinal.

Islamismus verhindern
Die EU müsse sich der Türkei gegenüber weiter öffnen und dabei auf Fortschritte bei rechtsstaatlichen Reformen dringen, ohne die Sensibilität ihrer Gesprächspartner zu verletzen. Ohne EU-Perspektive werde die Türkei möglicherweise aus der NATO austreten und sich dem islamischen Fundamentalismus annähern, warnte er.

Die Vatikanische Diplomatie hat bislang stets ein politisches Votum zu einem EU-Beitritt der Türkei vermieden. Man habe aber keine Bedenken gegen eine solche Mitgliedschaft, wenn die entsprechenden Kriterien erfüllt seien, wie sie vom Kopenhagener Gipfel 2002 vorgegeben worden waren, hieß es immer wieder im Vatikan.

Papst Benedikt XVI. steht einem möglichen EU-Beitritt der Türkei kritisch gegenüber. Das Kirchenoberhaupt sprach sich wiederholt für eine Beschränkung auf Länder mit christlich-jüdischen Wurzeln aus.

Reformen werden fortgesetzt
Erdogan kündigte noch am Wahlabend eine Fortsetzung der Reformen für den angestrebten EU-Beitritt an. "Wir werden entschlossen an der Verwirklichung des Zieles EU weiterarbeiten", sagte der türkische Ministerpräsident. Vor jubelnden Anhängern in Ankara sagte der Regierungschef: "Unsere Einheit und unser Zusammenhalt, unsere Demokratie und unsere Republik sind gestärkt aus der Wahlurne hervorgegangen."

Der Einzug der nationalistischen MHP wird weitere Reformen der Regierung allerdings erschweren, meint Jan Senkyr, Landesbeauftragter für die Türkei bei der Konrad Adenauer Stiftung in Istanbul im domradio Interview. Die Zypernfrage aber auch Rechte von Minderheiten in der Türkei und die Verhandlungen um den EU-Beitritt werden mit der MHP schwieriger als in der vergangenen Legislaturperiode, vermutet Jan Senkyr.

Deutsche Stimmen
Der Unions-Außenexperte Eckart von Klaeden (CDU) hält denn auch die Ängste vor einer Islamisierung der Türkei für unbegründet. Die Regierungspartei AKP stehe für einen wirtschaftsliberalen und pro-europäischen Kurs, sagte Klaeden am Montag im Deutschlandradio Kultur. Er halte den Vorwurf einer Islamisierung des Landes für falsch und bösartig. Kaum eine politische Kraft habe die Türkei so sehr in Richtung Westen modernisiert wie die AKP.

Der Unions-Obmann im Auswärtigen Ausschuss, Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), sagte im ARD-"Morgenmagazin", in seiner Fraktion gebe es weiterhin große Vorbehalte gegenüber einem EU-Beitritt des Landes. "Es ist an der Türkei, zunächst die europäischen Kriterien zu erfüllen", sagte der Außenpolitiker. In der Türkei würden zudem zunehmend europakritische Stimmen laut. Die formalen Beitrittsverhandlungen sollten jedoch fortgeführt werden.

Der Grünen-Europaabgeordnete Cem Özdemir sagte im Deutschlandfunk, nach dem deutlichen Wahlsieg der AKP am Sonntag bei den vorgezogenen Neuwahlen hätten sich die Beitrittschancen der Türkei verbessert. Die AKP stehe für einen pro-europäischen Kurs. Die europakritischen Stimmen seien eine Reaktion auf die anhaltenden Vorbehalte auf EU-Seite. Nun müsse die türkische Verfassung weiter reformiert und die Zypernfrage geklärt werden. So müsse die Meinungsfreiheit eingeführt werden. Wenn dies geschehe, würden den Kritikern eines EU-Beitritts allmählich die Argumente ausgehen.

Wahlergebnisse
Die AKP erreichte mit 47 Prozent die absolute Mehrheit im neuen türkischen Parlament. Die Republikanische Volkspartei CHP von Oppositionsführer Deniz Baykal kam auf knapp 21 Prozent. Mit rund 14 Prozent schaffte auch die nationalistische MHP den Sprung über die Zehn-Prozent-Hürde. Sie war bislang nicht im Parlament vertreten.

Im 550 Sitze zählenden Parlament wird die AKP voraussichtlich mit 342 Abgeordneten vertreten sein. Das wären trotz der Stimmenzuwächse zehn weniger als bislang. Auf die CHP entfallen 111, auf die MHP 70 Mandate, wie türkische Medien nach Auszählung von annähernd 100 Prozent der Stimmen berichteten. Die prokurdischen Partei DTP, die unter Umgehung der hohen Zehn-Prozent-Hürde mit Einzelkandidaten angetreten war, wird mit mehr als 20 Abgeordneten ins Parlament einziehen.