Bischöfe werfen nüchternen Blick auf Lage von Paaren und Kindern

"Zufriedene Familien werden zu einem Luxusgut"

Nur einen Tag nach der Aufregung um die Wahl ihres neuen Vorsitzenden war wieder Sacharbeit in der Frühjahrsvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz angesagt. Einen ungeschminkten Blick auf die Realität des Familienlebens in Deutschland wollten die Bischöfe werfen und dabei "die Dinge weder schön reden noch in Pessimismus versinken", lautete die von Familienbischof Kardinal Georg Sterzinsky ausgegebene Losung.

Autor/in:
Christoph Renzikowski
 (DR)

Die katholische Kirche steht nach den Worten des Berliner Kardinals vor einer "Gratwanderung". Sie will die hohen Ideale des Evangeliums, wo es um Treue und Unauflöslichkeit der Ehe geht, nicht verraten, steht aber vor der Gefahr, dass ihre Botschaft nicht mehr von den Menschen verstanden wird, weil diese ihre persönlichen Beziehungen - nicht immer aus freien Stücken - zunehmend anders gestalten. In der familienpolitischen Debatte werden pointierte bischöfliche Äußerungen als Beleg dafür genommen, dass die Kirche insgesamt überholten Vorstellungen etwa bei der Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern anhänge.

Dabei stellt die Kirche, von Kommunikationstrainings für Paare über Beratungsstellen bis hin zu einem umfassenden Netz von Kinderbetreuungseinrichtungen für jedes Alter ihre Dienste allen zur Verfügung - gleichgültig, ob ihre Klienten katholischen Moralnormen genügen oder nicht. In der Doktrin verteidigt sie ein anspruchsvolles Ideal. Zugleich ist es für die Kirche kein Widerspruch, vorbehaltlos denen zu helfen, die hinter diesem Leitbild zurückbleiben oder es gar nicht erst anstreben.

Die von der Bischofskonferenz geladenen Experten machten deutlich, dass es keinen Weg zurück in die Zeiten gibt, als das traditionelle Verständnis von Ehe und Familie mit seiner strikten Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau noch allgemein akzeptiert war und auch gelebt wurde. Der Mainzer Sozialethiker Arno Anzenbacher kam zu einem differenzierten Befund. Früher habe sich die Kirche gegenüber dem Emanzipationswunsch der Frauen repressiv verhalten. Heute gebe es Tendenzen in der Politik, genauso stark eine Gleichförmigkeit in der Rolle von Frauen und Männern durchzusetzen. Er ermunterte die Bischöfe, am Leitbild der Wahlfreiheit festzuhalten - und auch am christlichen Familienverständnis, das zumindest mit Blick auf die Lebenswünsche junger Leute unumstritten sei.

Der Bremer Familiensoziologe Johannes Huinink kam unter Vorlage empirischer Daten zum Ergebnis, dass nicht einfach von einem Verfall der Familie die Rede sein könne. Trotz hoher Scheidungsziffern etwa seien die Unterstützungsstrukturen zwischen den Generationen bis heute intakt. So würden 90 Prozent der Pflegebedürftigen privat von ihren Angehörigen versorgt. Paarbeziehungen und Familien stünden nach wie vor hoch im Kurs, die Erwartungen an die emotionale Qualität dieser Bindungen seien jedoch viel höher geworden. Dem stünden widrige Rahmenbedingungen entgegen, etwa auf dem Arbeits- oder Wohnungsmarkt. Ein befriedigendes Familienleben drohe unter diesen Umständen "zu einem Luxusgut" zu werden.

Familienthemen stehen schon ungewöhnlich lange im Fokus der Tagespolitik und werden es weiter bleiben - allein schon wegen der demografischen Entwicklung. Doch jenseits der Fragen um Kinderkrippen und Kindergelderhöhung wollen die Bischöfe tiefer bohren und eine Grundsatzdebatte in der Gesellschaft über den Wert von Ehe und Familie anstoßen. Patentrezepte, wie auf die Herausforderungen des sozialen Wandels reagiert werden sollte, hat die Kirche nicht. In der Debatte versteht sie sich laut Sterzinsky aber nicht als Bremser, sondern als Schrittmacher.