Einschätzung "Rheinischer Merkur" im domradio

SPD in der Zerreißprobe

Der Streit über eine Zusammenarbeit mit der Linken im Westen wird für die Sozialdemokraten zur Zerreißprobe. Während die Parteilinke den Öffnungskurs von Kurt Beck begrüßen, warnen die Reformorientierten vor einem Verlust der Glaubwürdigkeit. Hören Sie eine Einschätzung von Jan Kuhlmann, Redakteur bei der Wochenzeitung "Rheinischer Merkur".

 (DR)

Der frühere Verteidigungsminister Hans Apel (SPD) warf Beck Wahlbetrug vor. Der ehemalige IG Chemie-Chef Hermann Rappe forderte einen Sonderparteitag. Vergleichsweise gelassen debattierte die CDU unterdessen über die Chancen und Risiken einer Koalition mit den Grünen in Hamburg.

SPD-Fraktionschef Peter Struck wies Berichte über einen parteiinternen Aufstand gegen Beck zurück. "Nein, davon weiß ich nichts", sagte Struck am Rande der Klausurtagung der großen Koalition auf dem Petersberg bei Bonn. Zugleich riet er erneut von einer Zusammenarbeit der SPD mit der Linkspartei in Hessen ab. Es sei "falsch, sich von den Linken wählen zu lassen".

Hessens SPD-Generalsekretär Norbert Schmitt verteidigte den Beschluss, eine von der Linken tolerierte rot-grüne Minderheitsregierung nicht mehr auszuschließen. Die SPD wolle Studiengebühren abschaffen, Atomkraftwerke abschalten, in Erneuerbare Energien einsteigen, den Mindestlohn durchsetzen und eine andere Schulpolitik. "Das erwarten die Menschen von uns in Hessen, die interessieren sich nicht für Koalitionsarithmetik", sagte Schmitt.

"Quantensprung" für die Bündnismöglichkeiten
Der SPD-Linke Björn Böhning nannte die Öffnung für eine Zusammenarbeit mit der Linken im Westen einen "Quantensprung" für die Bündnismöglichkeiten der Sozialdemokraten. "Die SPD ist jetzt in der Lage, nach lokalen Gegebenheiten und Sachfragen zu entscheiden, ob sie eine Koalition links der Mitte macht oder nicht", sagte er. In Hessen dürfe Ministerpräsident Roland Koch (CDU) nicht jahrelang geschäftsführend im Amt bleiben.

SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann sagte, er hoffe in Hessen weiter auf eine Koalition aus SPD, Grünen und FDP oder auch auf eine große Koalition: "Vielleicht bleibt uns das Linksbündnis erspart". Zwar gebe es in der Fraktion Verständnis dafür, dass über solche Bündnisse in den Ländern entschieden werden solle. Trotzdem herrsche in der Fraktion die Ansicht, "dass das nicht die richtigen Partner für die SPD sind".

"Netzwerk"-Sprecher Christian Lange wurde deutlicher und nannte den Öffnungskurs "strategisch falsch". Die Linke ziehe in immer mehr Landtage im Westen ein, die SPD bekomme dadurch aber keine neue Machtoption. Bundestagsvizepräsidentin Susanne Kastner (SPD) warnte vor einem "massiven Glaubwürdigkeitsproblem". Apel forderte, Beck müsse vor der nächsten Bundestagswahl sagen, wie es mit den Linken weitergehen solle.

CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla kritisierte, die Sozialdemokraten hätten einen "Kniefall" vor der Linken beschlossen: "Das ist ein Desaster für die einst stolze Volkspartei SPD."

Derweil diskutierte die Union über Schwarz-Grün in Hamburg. Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller rief seine Partei auf, offen für neue Bündnisse zu sein. Auch Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth empfahl Hamburgs erstem Bürgermeister Ole von Beust, ein Bündnis mit den Grünen zu versuchen. Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (alle CDU) sagte, grundsätzlich sei ein solches Bündnis auf Länderebene möglich, doch dürfe die Union ihre Stammwähler nicht verschrecken.