US-Erzbischof sieht Defizite im Umgang mit Missbrauchsskandal

"Eine Reform des Kirchenrechts ist nicht nötig"

Nach dem Papstbesuch in den USA sehen sich die amerikanischen Bischöfe gestärkt in ihrem Kurs, den sie seit sechs Jahren im Missbrauchs-Skandal eingeschlagen haben. Warum, erklärt im KNA-Interview der scheidende Erzbischof von Saint Paul und Minneapolis, Harry Flynn.

Autor/in:
Ludwig Ring-Eifel
 (DR)

KNA: Herr Erzbischof, der Papst hat bei seinem USA-Besuch durch seinen offenen und überzeugenden Umgang mit dem Missbrauchs-Skandal viele überrascht. Hat er die Worte und Gesten gefunden, die bei manchen Bischöfen vermisst werden?

Flynn: In meinen vier Jahren als Vorsitzender des Sonderausschusses zur Bewältigung des Missbrauchsskandals ab 2002 habe ich schon damals, in der kritischsten Zeit des Skandals, Kardinal Ratzinger als einen Mann kennengelernt, der ganz entschieden auf der Seite der Opfer steht und der das Ausmaß besser begriff als viele andere.
Deshalb war ich überhaupt nicht von seinem Verhalten bei der USA-Reise überrascht. Was ihn auszeichnet, ist seine Persönlichkeit.
Dieser Papst ist so strukturiert, dass er einer offenen Auseinandersetzung auch mit sehr schwierigen Themen nicht aus dem Weg geht. Und das hilft.

KNA: Wenn Sie auf die Jahre seit dem Ausbruch des Skandals
zurückblicken: Was war der größte Fehler, den die Bischöfe im Umgang mit sexuellem Missbrauch durch Kleriker gemacht haben?

Flynn: Er bestand darin, dass wir anfangs das Wesen und die Tiefe der pädophilen Neigung nicht begriffen haben. Wir waren da übrigens nicht alleine, auch Staatsanwälte, Polizeibeamte und Psychologen waren damals überwiegend der Meinung, dass es sich um eine moralische Verfehlung handele, die man durch eine milde Strafe, mit einer Therapie und einer Chance zum Neuanfang korrigieren könnte. Erst später, nachdem das ganze Ausmaß der Missbräuche bekannt wurde, erkannten wir, wie tief diese Neigung in den Tätern sitzt und dass nur ein konsequenter Ausschluss vom geistlichen Amt als Konsequenz in Frage kommt.

KNA: Können Bischöfe in anderen Ländern von dieser Erfahrung lernen?

Flynn: Auf jeden Fall. Wir teilen unsere Erfahrungen gerne mit anderen Bischofskonferenzen. Einige meiner Mitbrüder haben schon auf entsprechende Einladung bei der irischen, der englischen sowie der australischen Bischofskonferenz gesprochen und von unseren Erfahrungen berichtet. Vor allem in Lateinamerika und in einigen afrikanischen Ländern bleibt noch viel zu tun. Dort sieht man bis heute das Problem überwiegend so, wie wir es anfangs irrtümlich betrachtet haben, nämlich als eine leicht zu korrigierende moralische Verfehlung.

KNA: Glauben sie, dass es nötig sein wird, das Kirchenrecht in dieser Frage zu verschärfen? In den Medien gibt es ja schon entsprechende Spekulationen.

Flynn: Von einem solchen Vorhaben habe ich persönlich noch nichts gehört. Und ich halte auch nicht viel davon, denn eine Reform des Kirchenrechts ist nicht nötig. Wenn man das geltende Kirchenrecht genau liest und es konsequent anwendet, dann kann man auch heute schon die Täter vom geistlichen Amt ausschließen.

Flynn war viele Jahre Vorsitzender des Ausschusses zur Bewältigung der Missbrauchskrise in der US-Bischofskonferenz.