Vor fünfzig Jahren starb Papst Pius XII. - Seligsprechung wird erwartet

Ausgang einer Kirchenepoche

Vor 50 Jahren, am 9. Oktober 1958, starb Pius XII. nach schwerem Todeskampf in Castelgandolfo. 20 Jahre lang hat dieser Papst in dramatischer Zeit die katholische Weltkirche geleitet: Ein Spitzendiplomat und Kirchenpolitiker, der am Vorabend des Zweiten Weltkriegs sein Amt antrat. Umstritten ist sein Wirken bis heute: War der Pacelli-Papst ein "Retter der Juden" oder passiver Beobachter der Nazi-Gräueltaten?

Autor/in:
Johannes Schidelko
 (DR)

Papst Pius XII.: ein Kirchenoberhaupt, das mit seiner eindrucksvollen Gestalt für die Kriegs- und erste Nachkriegsgeneration Inbegriff des Papsttums war. Der freilich am Ausgang einer Epoche stand, in der sich die Kirche noch als geschlossene Burg verstand. Pius XII. verhalf dem Papsttum zu weltweiter Achtung, wurde bald nach seinem Tod aber wegen seines angeblichen Schweigens zur Judenverfolgung attackiert.  

«Der Friede ist das Werk der Gerechtigkeit», lautete der Wahlspruch des aus einer römischen Juristenfamilie stammenden Eugenio Pacelli, der am 2. März 1939, an seinem 63. Geburtstag, an die Spitze der katholische Kirche gewählt wurde. Wenige Monate vor dem Ausbruch des Weltkrieges schien der politisch versierte Kardinal-Staatssekretär mit langjähriger Erfahrung als Nuntius in Deutschland der geeignete Kandidat für das Papstamt.

«Nichts ist verloren durch den Frieden, alles kann verloren werden durch den Krieg», lautete der eindringliche Appell des neuen Papstes in einer Rundfunkbotschaft am 24. August 1939. Aber als das Kirchenoberhaupt dann seine Antrittsenzyklika veröffentlichte, hatte der Zweite Weltkrieg bereits begonnen. Dem Papst und der vatikanischen Diplomatie blieb nur die Mahnung zum Frieden. Er leistete humanitäre Hilfe, wo immer möglich, hielt sich jedoch gemäß den erst kurz zuvor mit Mussolini geschlossenen Lateran-Verträgen aus der Politik heraus.

Neutralität, mehr noch Überparteilichkeit war die Linie des Papstes. Das ermöglichte es ihm, den Vatikanstaat wie Rom weitgehend aus dem Kriegsgeschehen herauszuhalten. Eine Ausnahme bildeten die Bomben auf das San-Lorenzo-Viertel: Das Foto von Pius XII., der in die Trümmerzone eilte und in seinem weißen Mantel mit großer Geste beschwörend die Arme zum Himmel erhob, ging um die Welt.

Auf die von Rolf Hochhuth in dem Bühnenstück «Der Stellvertreter» ausgelöste Diskussion um das «Schweigen» Pius XII. reagierte die Kirche mit einer Vorab-Öffnung seiner Archive über die Zeit von Faschismus und Zweitem Weltkrieg. Sie zeigten, dass der Heilige Stuhl vielen Juden half. In Italien gelang es, die Rassengesetzgebung zu mildern und Deportationen zu verhindern; die Razzia vom 16.10.1943 im römischen Ghetto wurde auf Initiative des Papstes bald eingestellt. Viele Juden überlebten dank kirchlicher Hilfe, versteckt in Klöstern, in kirchlichen Häusern, aber auch im Vatikan selbst.

Trotz der politischen Wirren setzte der Pacelli-Papst mit zahlreichen Lehrschreiben viele neue kirchlichen Akzente. 1943 erschien sein großes Kirchendokument «Mystici corporis». Weiter öffnete Pius XII. der Bibelwissenschaft neue Forschungswege und verfügte eine grundlegende Reform der Osternachtsliturgie. In seiner Enzyklika «Humani generis» warnte er den notwendigen theologischen Fortschritt vor zu starker Anpassung an die Zeit.

Wenig Zugang hatte der Pacelli-Papst zur neuen ökumenischen Bewegung. Dagegen kamen in seinen Audienzreden viele gesellschaftliche Themen zur Sprache wie Menschenwürde, Ehe und Familie, Massenmedien. Höhepunkt seines Pontifikats bildete das Heilige Jahr 1950. Pius XII. stand am Ende einer Kirchenepoche. Er dachte bereits an ein Konzil. Aber erst sein Nachfolger Johannes XXIII. (1958-1963) berief das Gipfeltreffen ein, das die Kirche zur Welt und fürs dritte Jahrtausend öffnete.

Bertone: Pius XII. hat mit klugem Vorgehen viele Juden gerettet
Kardinal-Staatssekretär Tarcisio Bertone hat Papst Pius XII. erneut gegen den Vorwurf des "Schweigens" zum Holocaust verteidigt. Der Pacelli-Papst "hat nicht geschwiegen, und er war nicht antisemitisch: Er war klug", schreibt Bertone in einem Beitrag der Vatikan-Zeitung "Osservatore Romano" (Mittwoch). Mit seinem besonnenen Verhalten habe Pius XII. zahlreiche Juden und Flüchtlinge gerettet. Eine öffentliche Intervention hätte dagegen "das Leben Tausender Juden in Gefahr gebracht, die auf seine Anordnung in 155 Klöstern und Konventen nicht nur in Rom versteckt waren".

Bertone betont, Pius XII. habe "ungewöhnliche Schritte unternommen, um das Leben von Juden zu schützen". Das belegten auch Forschungen unabhängiger Historiker. Am Donnerstag jährt sich zum 50. Mal der Todestag des Pacelli-Papstes. Zu diesem Anlass feiert Benedikt XVI. im Petersdom eine Gedenkmesse.

Welchen Schaden eine öffentliche Kritik an den Nationalsozialisten und der Behandlung der Juden auslösen konnte, habe der Hirtenbrief der niederländischen Bischöfe von 1942 gezeigt, erinnert Bertone. Die Nazis hätten daraufhin ihre antisemitischen Maßnahmen verschärft. Aufgrund der bischöflichen Anklage seien aus den Niederlanden mehr Juden als aus anderen Ländern deportiert worden, schreibt die Nummer zwei der vatikanischen Hierarchie: rund 110.000 und damit 79 Prozent der gesamten jüdischen Bevölkerung.

Im Übrigen habe Pius XII. keinesfalls nur geschwiegen, so Bertone in der Vatikan-Zeitung. Die Weihnachtsbotschaft des Papstes von 1942 habe bei Hitler einen Wutausbruch ausgelöst. Dafür gebe es Belege in den vatikanischen Archiven.

Rabbiner Cohen gegen Seligsprechung
Ein Seligsprechungsverfahren für Pius XII. läuft seit 1974. Kritiker bemängeln, der Papst habe nicht laut genug gegen die Ermordung der Juden im Zweiten Weltkrieg protestiert. Der israelische Rabbiner Schar Jischuw Cohen sagte z.B. im Anschluss an seine Rede vor der Weltbischofssynode im Vatikan am Montagabend, Pius XII. habe während der Zeit des Faschismus und des Zweiten Weltkriegs nicht seine Stimme erhoben, auch wenn er insgeheim zu helfen versucht habe. Egal ob er aus Angst oder anderen Motiven so gehandelt habe, "wir können das nicht vergessen", so der jüdische Theologe. Cohen hatte als erster Nichtchrist vor der Weltbischofssynode über die Bedeutung der Heiligen Schrift im Judentum gesprochen.