Kardinal Meisner: Entscheidend war, was Pius XII. tat, nicht was er sagte

Ehrenrettung in Wien

Als "überragenden theologischen Lehrer" hat Kardinal Joachim Meisner Papst Pius XII. gewürdigt, dessen 50. Todestages vor wenigen Tagen gedacht wurde. Bei einem Vortrag am Mittwochabend in Wien betonte der Kölner Erzbischof das theologische Erbe des Pacelli-Papstes und dessen große Auswirkungen auf das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965).

 (DR)

Abgesehen von Zitaten aus der Heiligen Schrift sei auf dem Konzil keine Persönlichkeit so häufig zitiert worden wie Pius XII., so Meisner. Eine erneute Rezeption des reichhaltigen Werkes des Pacelli-Papstes sei "an der Zeit".

Der Kölner Kardinal ging aber auch auf die Debatte um das Verhältnis von Pius XII. zum Nationalsozialismus ein. In diesem Zusammenhang wies der Kölner Erzbischof die Kritik vom "Papst der geschwiegen hat" zurück: Entscheidend sei gewesen, was Pius XII. getan, und nicht was er gesagt oder worüber er geschwiegen habe.

Polemik Hochhuths ist "in die Jahre gekommen"
Scharfe Kritik übte Meisner am Dramatiker Rolf Hochhuth, dessen 1963 uraufgeführtes Theaterstück "Der Stellvertreter" die These vom "angeblichen Schweigen" Pius XII. zum Holocaust in aller Welt verbreitet hat. Hochhuths Polemik sei inzwischen "in die Jahre gekommen", sagte der Kölner Erzbischof: "Sie hat auch durch die sich steigernde Aggressivität des Schriftstellers keine neue Überzeugungskraft gewonnen". Zuletzt habe Hochhuth seine Thesen nur dadurch retten können, dass er sich dem Dialog mit den neuen wissenschaftlichen Ergebnisse zu Pius XII. verweigerte, meinte Kardinal Meisner. Hochhuths Darstellung, Pius hätte selbst dann noch geschwiegen, als die Juden Roms unter seinen Fenstern abtransportiert wurden, bezeichnete er wörtlich als "emotional aufgeladene Geschichtsglitterung".

Pius XII. habe zwar nicht verhindern können, dass die am 16. Oktober 1943 in Rom aufgegriffenen etwa 1.000 Juden ermordet wurden, so Meisner. "Die sofortige von Pius XII. eingeleitete Reaktion führte aber dazu, dass nach dem 17. Oktober keine Massendeportationen aus Rom mehr stattfinden konnten".
Zudem sei bereits zuvor rund die Hälfte der 8.000 Juden, die damals in Rom lebten in Einrichtungen der Kirche untergebracht worden.

These vom "schuldhaften Schweigen" verfehlt
Kardinal Meisner kritisierte, dass die These vom "Papst der geschwiegen hat" heute häufig als "eine selbstverständliche Tatsache" präsentiert werde, die keiner Überprüfung mehr bedürfe. Dabei sei längst keine Forschung mehr notwendig, um die These vom schuldhaften Schweigen des Papstes zurückzuweisen. Es lägen dazu vielfältige Ergebnisse der Zeitgeschichteforschung vor: "Das bezieht sich sowohl auf tatsächliche Stellungnahmen als auch auf die vielfältigen Formen humanitärer Unterstützung und diplomatischer Hilfe, für deren Erfolg es unabdingbar war, dass sie gerade nicht vor aller Augen passierte."

In seiner Weihnachtsansprache 1942 prangerte Pius XII. öffentlich die Verfolgung der vielen Hunderttausenden an, "die persönlich schuldlos, manchmal nur um ihrer Volkszugehörigkeit oder ihrer Abstammung willen dem Tod geweiht oder einer fortschreitenden Verelendung preisgegeben sind". Zur Kritik, dass der Papst damals nicht deutlich genug geworden sei meinte Kardinal Meisner: "Pius XII. war überzeugt, dass alle verstanden, was sie da hörten". Und die empörte Reaktion der Nationalsozialisten auf die Ansprache habe gezeigt, dass die Botschaft auch in dieser Form des "uneigentlichen Sprechens" angekommen sei: "Die Rede ist eine einzige Attacke gegen alles, für das wir einstehen ... Er (Pius XII.) beschuldigt das deutsche Volk, Ungerechtigkeit gegenüber den Juden zu begehen und macht sich zum Sprecher der jüdischen Kriegsverbrecher", zitierte der Kölner Erzbischof zum Beleg aus Akten des Reichssicherheitsamtes.

Gegen ein "offenes Wort" habe hingegen gesprochen, dass davon kein praktischer Erfolg zu erwarten gewesen wäre, erklärte Kardinal Meisner. Das Beispiel der Niederlande sei Pius XII. "ein abschreckendes Beispiel" gewesen. Am 26. Juli 1942 hatten die niederländischen Bischöfe in einem Hirtenbrief die Maßnahmen der deutschen Besatzer gegen die Juden mit deutlichen Worten angeprangert. Als Antwort wurde die Verfolgung auch auf alle Christen jüdischer Herkunft ausgedehnt.

"Damals ging es nicht in erster Linie darum, was der Papst sagte oder worüber er schwieg, sondern es ging darum was er tat!", betonte Kardinal Meisner. Statt auf einen öffentlichen Protest habe sich Pius in seinen Anstrengungen auf die humanitäre Unterstützung der Verfolgten konzentriert.

War nicht "Hitlers Papst"
Der Kölner Erzbischof wandte sich auch gegen die Position, wonach der "autoritäre antibolschewistische Eugenio Pacelli" mit dem antibolschewistischen Deutschen Reich sympathisiert habe und so zu "Hitlers Papst" geworden sei. "Pacelli sah das Dritte Reich zu keinem Zweitpunkt als Bollwerk des christlichen Abendlandes gegen die Ausbreitung des Bolschewismus durch die Sowjetunion und riet auch Papst Pius XI. dringend davon ab, solche Pläne in Erwägung zu ziehen", sagte Kardinal Meisner. Aus der eindeutigen Ablehnung des Bolschewismus durch Pacelli in Theorie und Praxis habe sich keine Unterstützung des Nationalsozialismus ergeben.

Vielmehr habe die Glaubenskongregation unter aktiver Beteiligung des damaligen vatikanischen Staatssekretärs Pacelli in den Jahren 1935/36 Gutachten ausarbeiten lassen, die Nationalsozialismus, Rassismus, Kommunismus und Totalitarismus gleichsam als Häresien verurteilten, so Meisner.

Die Beziehung Pius XII. zu Hitler sei eine Beziehung gegenseitiger Abneigung, ohne jeden persönlichen Kontakt gewesen. "Für Pacelli gab es weder weltanschaulich noch persönlich irgendeine Verbindung zu Adolf Hitler", meinte der Kölner Erzbischof. Allein seine Erfahrungen mit den kommunistischen und nationalsozialistischen Bewegungen während seiner Zeit als Nuntius in Deutschland hätten dafür ausreichen können, keinerlei Sympathien für die eine oder die andere Ideologie empfinden zu können.

Quelle: Studio Omega