Caritas-Mitarbeiter über die humanitäre Katastrophe im Kongo

"Wir haben alle einen leichten Schlaf"

Im Osten des Kongo droht nach Angaben von Hilfsorganisationen eine humanitäre Katastrophe. Schätzungen zufolge sind über eine Million Menschen auf der Flucht. In den Flüchtlingslagern der von Rebellen umzingelten Stadt Goma warten zehntausende Flüchtlinge auf Lebensmittel und Medikamente. Im Interview berichtet Caritas-Mitarbeiter Alexander Bühler über die Situation. Bühler ist am Sonntag in Goma eingetroffen.

Autor/in:
Julia Grimminger
 (DR)

KNA: Herr Bühler, wie ist die Lage in den Flüchtlingslagern in Goma?
Bühler: Die Lage hier ist katastrophal. Ich war heute in einem kleinen Lager mitten in der Stadt, in dem 1.500 Menschen untergekommen sind. Die Leute leben dort wie die Sardinen in der Dose. Mehr als 200 Menschen müssen sich 40 Quadratmeter teilen.
Hinzu kommt, dass gerade Regenzeit ist und es relativ kalt ist. Die Menschen verkriechen sich dann in ihren Verschlägen aus Bambusstäben, über die sie eine Plastikplane gespannt haben. Schutz bieten die kaum.

KNA: Das hat sicher auch schlimme Folgen für die Hygiene?
Bühler: Hygiene ist hier quasi nicht vorhanden. Viele Frauen sind hochschwanger und bekommen im Lager ihr Kind. Das einzige, was sie bei der Geburt an Hilfe erwarten können, ist eine Schüssel Wasser.
800 Menschen teilen sich einen Wasserhahn. Besonders Kinder leiden an Krankheiten von Durchfall bis Meningitis. Unsere schlimmste Befürchtung ist, dass bald die Latrinen überlaufen könnten.

KNA: Einige Fälle von Cholera wurden bestätigt. Gibt es dazu neue Informationen?
Bühler: Wir haben von den Fällen gehört. Genaueres wissen wir nicht, weil wir durch die Übergriffe der letzten Tage nicht mehr in den großen Lagern außerhalb von Goma waren. Sie müssen sich vorstellen, dass die Menschen hier auf engstem Raum leben. Vier Menschen haben vier Quadratmeter zur Verfügung. Unter den Umständen kann gar nicht verhindert werden, dass sich Viren und Bakterien ausbreiten.

KNA: Rebellengeneral Nkunda hat am Freitag versprochen, einen Korridor für humanitäre Hilfe zu gewähren. Ist davon schon etwas zu spüren?
Bühler: Die, die flüchten wollen, hoffen auf den Korridor. Bisher ist davon aber noch nichts zu sehen. Große Flüchtlingsströme sind Richtung Süden unterwegs. Viele glauben aber auch, hier in der Stadt weniger die Zielscheibe der Rebellen zu sein. Immerhin sind hier UNO-Soldaten vor Ort und haben ihre Panzer aufgestellt. Trotzdem weiß niemand, wo man sicher ist.

KNA: Haben die Blauhelm-Truppen durch ihr Nicht-Eingreifen gegen die Rebellen ihr Vertrauen bei der Bevölkerung verspielt, wie in den Medien berichtet wurde?
Bühler: Das Problem liegt meiner Meinung nach woanders. Die UNO-Soldaten sind komplett überfordert. Die meisten der 7.000 Soldaten sind schlecht ausgerüstet und haben keine Kampferfahrung.
Dazu kommt, dass Nkunda sehr geschickt vorgegangen ist. Er ist mit kleinen Gruppen in die Offensive gegangen, die nicht zu entdecken waren. Die Kampfhubschrauber der UNO sind so völlig nutzlos gewesen.
Sie hätten ja sonst auch auf Zivilisten schießen müssen.

KNA: Wie gefährlich ist die Situation für Mitarbeiter von Hilfsorganisationen?
Bühler: Man hat die ganze Zeit ein mulmiges Gefühl. Es gibt keinen Schutz. Gestern Abend habe ich meine Balkontür dreimal verriegelt und einen Metallkoffer vor meine Zimmertür geschoben. Wir haben hier alle einen leichten Schlaf.