Immer mehr Busfahrer in Guatemala ermordert

Die Angst fährt immer mit

In der vergangenen Woche meldeten Guatemalas Medien einen neuen traurigen Rekord: Schon der 107. Busfahrer in diesem Jahr wurde bei einem Überfall eiskalt hingerichtet worden - mehr als in den beiden vorausgegangenen Jahren zusammen. Nicht nur die Kirche im Land ist empört.

 (DR)

Sie heißen «Carmencita», «Florecita» oder «Lourdes». Guatemalas Busse sind nicht nur eine bunte Augenweide, ihre Namen klingen auch schön. Doch wer täglich auf den Bus als Transportmittel angewiesen ist, hat kein Auge für dekorativen Schnickschnack. Er sieht sich nach verdächtigen Gestalten um, nach Anhaltspunkten, ob der Bus vielleicht überfallen werden könnte.

Die Fahrer sind in Aufruhr. Seit diesem Montag hissen sie Trauerflor. Zudem haben sie Warnstreiks angekündigt. «Ich kenne keinen, der mit dem Bus fährt und der noch keinen Überfall erlebt hat. Die Angst fährt immer mit», sagt die 24-jährige Studentin Sofia Itzol. Acht Mal wurde sie schon überfallen. «Wenn die Busfahrer das Schutzgeld nicht bezahlen, werden sie kurzerhand erschossen», weiß Carlos Valdez, Wachmann und Pendler. Er kommt mit dem Bus aus dem Vorort Jutiapa in die Hauptstadt.

Längst bekanntes Problem
Es ist ein längst bekanntes Problem - das sich aber in jüngster Zeit deutlich verschärft hat. Es gehört zum «Geschäft» der Pandillas, der Jugendbanden, Busse auszurauben und von Busfahrern Schutzgelder zu erpressen. Operierten die Gangster früher mit Taschenmessern, haben sie heute Schusswaffen. Und längst ist nicht mehr nur die Hauptstadt betroffen.

«Wir leben in einem Klima ständiger Angst, einer steten Unsicherheit und Nervosität. Das Schlimme ist die wachsende Teilnahmslosigkeit im Angesicht von täglicher Gewalt und Tod», klagt der Bischof von Escuintla, Victor Hugo Palma Paul. Mit Sorge beobachtet er, dass immer mehr Schusswaffen zirkulieren - und fürchtet schon, dass wenn die Obrigkeit nicht bald mit konkreten Maßnahmen reagiere, die Bevölkerung die Justiz selbst in die Hand nehmen könnte. Nach Polizeiangaben rangiert Escuintla, mit rund 100.000 Einwohnern drittgrößte Stadt Guatemalas, auf rang zwei der Kriminalitätsstatistik. Bis Oktober wurden von dort 290 Morde gemeldet - aber aus Angst kommen viele Überfälle gar nicht erst zur Anzeige.

Allein für Guatemala-Stadt sprechen die städtischen Busunternehmer von durchschnittlich 200 Überfällen pro Tag. Sie fordern, dass der Staat endlich handelt. Luis Gomez von der Unternehmervereinigung richtet harte Vorwürfe an die Regierung: «Sie wissen, wer für die Morde verantwortlich ist, aber sie tun nichts.» Ein Grundübel ist die weitestgehende Straflosigkeit im Land. Erst kürzlich setzten wieder Richter einen berüchtigten Pandillero gegen umgerechnet 52 Euro Kaution auf freien Fuß. Er wurde zum kürzlichen Mord von Lucila Martinez, der Leiterin eines Frauengefängnisses, verhört. Zudem wird ihm illegaler Waffenbesitz zur Last gelegt.

Auch die Kirche schimpf
Nach der Ermordung der Gefängnisdirektorin und dem Überfall auf einen Überlandbus, bei dem 15 Nicaraguaner und ein Niederländer starben, hat das Menschenrechtsbüro in Guatemala gegen Polizeichefin Marlene Blanco Klage wegen Amtsunterlassung eingeleitet. Sie habe alles versäumt, um die Täter zu finden und zu verhaften.

Auch die Kirche schimpft. Der Staat habe den Schutz des Lebens zu garantieren, mahnte etwa Kardinal Rodolfo Quezada Toruno von Guatemala-Stadt, als er die Nachricht von den jüngsten Gewalttaten erhielt. Polizeichefin Blanco hatte zuvor Eskorten für Busse mit dem Argument abgezogen, dass es nicht genügend Polizisten für alle Busse im Land gebe - und nur wenige zu schützen, sei ungerecht. Im Kampf gegen die Gewalt brauche es vor allem «Geduld».