Treffen von Berlusconi und Kardinal Bertone findet nicht statt

Rätselraten um eine Absage

Es sollte ein Versöhnungstreffen sein. Eine Chance zur Verständigung zwischen Regierung und Kirche in Italien. Am Freitagabend sollten in der Erdbebenstadt L'Aquila Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone und Ministerpräsident Silvio Berlusconi zusammentreffen. Rechtzeitig zum Auftakt der "Perdonanza Celestiniana", der auf Papst Cölestin VI. (1294) zurückgehenden Ablass-Woche des Großen Vergebens. Wenige Stunden vor dem geplanten Abendessen wurde der Termin gestrichen.

 (DR)

Zunächst habe Berlusconi die Teilnahme abgesagt und seinen Staatssekretär Gianni Letta dafür delegiert, teilte der Vatikan in einer Erklärung mit. Der Premier wollte damit eine «Instrumentalisierung» vermeiden. Womit er freilich mehr Fragen aufwarf als Antworten gab. Seit geraumer Zeit knirscht es unüberhörbar zwischen Staat und Kirche in Italien.

Da sorgte zu Sommerbeginn zunächst das Privatleben des Ministerpräsidenten mit pikanten Details und Fotos für Schlagzeilen. Zwar gab es weder vom Vatikan noch von der Bischofskonferenz eine Äußerung dazu. Aber einzelne Kirchenleute und katholische Medien stiegen ein, etwa die auflagenstarke Wochenzeitschrift «Famiglia Cristiana» oder die bischofsnahe Zeitung «Avvenire».

In der Sache ernster aber war die Kontroverse um das restriktive neue italienische Einwanderungsrecht. Einzelne Bischöfe, Caritas-Vertreter wie Flüchtlingsbeauftragte kritisierten, dem Gesetz fehle die Perspektive der Integration; es fördere eine Kriminalisierung von Ausländern und folge einem falschen Menschenbild. «Famiglia Cristiana» warf Innenminister Roberto Maroni von der Lega Nord sogar «Rassismus» vor.

Die Lega schlug massiv zurück: Die Kirche solle sich nicht in Dinge einmischen, von denen sie keine Ahnung habe. Ja, der Vatikan solle doch die Einwanderer aufnehmen, wetterte Partei-Chef Umberto Bossi. Und schließlich stellte die Lega vorübergehend sogar das Konkordat infrage, das seit 1929 die Staat-Kirche-Beziehungen regelt.

In den letzten Tagen, als der geplante Versöhnungsgipfel von L'Aquila näherrückte, schien die Polemik abzuflauen. Der «Osservatore Romano» brachte ein großes Interview mit Bertone.
Dessen Botschaft: Die Beziehungen zwischen Heiligem Stuhl und Italien sind eigentlich ruhig und vertrauensvoll. Ausdrücklich würdigte der Kardinal die Aufbauarbeit der Regierung im Erdbebengebiet der Abruzzen.

Außerdem wandte er sich gegen die Praxis, alle Äußerungen von Kirchenvertretern dem Vatikan zuzuschreiben. Nach der jüngsten Tragödie mit 73 toten Afrikanern vor Sizilien habe es nur eine einzige offizielle Vatikan-Äußerung gegeben, und zwar vom Präsidenten des Migrantenrates, Erzbischof Antonio Maria Veglio. Der hatte eine «internationale Rechtsvereinbarung zwischen Ursprungs-,
Transit- und Zielländern» der Flüchtlingen und Migranten gefordert..

Angesichts der rückläufigen Polemik kam die Absage des L'Aquila-Treffens überraschend. Die Beziehungen seien wieder besser, daher sei gar keine Begegnung nötig, lautete eine Deutung. Berlusconi wolle jetzt sogar direkt den Papst treffen: am 6. September, wenn Benedikt XVI. in die mittelalterliche Papststadt Viterbo nördlich von Rom reist, hieß es weiter. Dass es dort zu einem Treffen kommt, ist inzwischen freilich unwahrscheinlich.

Möglicherweise hängt die Absage aber auch mit einer pikanten Nachricht zusammen, die am Freitag von der in berlusconischem Familienbesitz befindlichen Zeitung «Il Giornale» verbreitet wurde. Dort wurde behauptet, der Chefredakteur des katholischen «Avvenire», der Berlusconi wiederholt wegen seines Privatlebens attackiert hatte, habe selbst dunkle Flecken in seinem Sexualleben. Das Blatt behauptet: «Der Supermoralist wurde wegen Belästigung verurteilt».

Eine Aussage, die vom Betroffenen als «Räuberpistole» und in einem knappen Kommunique der Bischofskonferenz als ehrverletzend zurückgewiesen wurde. Statt einer Staat-Kirche-Versöhnung scheint nun erst einmal eine Fortführung der Auseinandersetzung angesagt zu sein.