Präsident Neher zur Zukunft der Caritas-Arbeit

"Dienst mitten in der Gesellschaft"

In wenigen Tagen endet die erste Amtszeit von Peter Neher als Präsident des Deutschen Caritasverbands. Mitte kommender Woche steht bei einer Caritas-Delegiertenversammlung in Eichstätt seine Wiederwahl an. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur formuliert der 54-jährige Standortbestimmungen des Verbandes.

Autor/in:
Christoph Strack
 (DR)

KNA: Herr Prälat, wo sehen Sie Schwerpunkte Ihrer bisherigen Amtszeit?
Neher: Neben dem sozialpolitischen Engagement für Familien und für Menschen in Armut haben wir uns konsequent für die Integration und Stärkung benachteiligter Kinder und Jugendlicher eingesetzt. Es ging und geht darum, eine weitere Spaltung der Gesellschaft zu verhindern. Ein Punkt macht mich sehr nachdenklich: Das Thema Kinderarmut ist zwar in der Politik angekommen, wird aber immer noch zu wenig effektiv bekämpft.

KNA: Was wäre da notwendig?
Neher: Wir erwarten, dass die Politik weitere konkrete Maßnahmen einleitet, um mit diesem sozial hoch brisanten Thema adäquat umzugehen. Das duldet keinen Aufschub.

KNA: Welches Standing hat denn der Caritasverband im politischen Berlin?
Neher: Wir wissen, dass wir eine konsistente Sozialpolitik betreiben müssen, wenn wir glaubwürdig sein wollen. Ein Beispiel: Ich kann nicht einerseits höhere Sozialleistungen verlangen und anderntags sagen, im Interesse des Arbeitsmarktes brauchen wir niedrige Sozialbeiträge. Mit dieser Glaubwürdigkeit werden wir von der Politik auch gehört als ernstzunehmender Gesprächspartner.

KNA: Das Thema Ehrenamt gewinnt immer mehr an Bedeutung. Angela Merkel hat einen eigenen Gipfel von Bund, Ländern und Kommunen dazu angekündigt. Begrüßt ein Wohlfahrtsverband das rundum?
Neher: Für das Selbstverständnis der Caritas ist das Ehrenamt zentral. Da kommen wir her. Die verbandliche Caritas basiert auf dem caritativen Engagement des einzelnen und der Pfarrgemeinden. Und für unsere vielen professionellen Dienste ist die Zusammenarbeit von beruflichen und ehrenamtlichen Kräften existenziell. Aber wir müssen immer darauf achten, dass das Ehrenamt nicht missbraucht wird. Es darf nicht dazu dienen, staatliche Untätigkeit zu kaschieren. Ich warne davor, dass sich der Sozialstaat aus Bereichen zurückzieht, in denen professionelles Engagement dringend notwendig ist. In unserer Delegiertenversammlung in Eichstätt wird es in der Diskussion zum Thema Ehrenamt auch um diese Gemengelage von beruflichem und ehrenamtlichem Engagement gehen.

KNA: Seit 2003 hat die Kirche in Deutschland mehr als 500.000 Katholiken durch Kirchenaustritt verloren. Merkt das ein Verband wie die Caritas?
Neher: Leider ja. Dies wird beispielsweise bei den Finanzen spürbar.
Der Deutsche Caritasverband und auch die Diözesanverbände werden aus Kirchensteuern mitfinanziert. Brechen die Einnahmen weg, ist es für die Bistümer schwieriger, Verpflichtungen im Sozialbereich, beispielsweise bei den Beratungsdiensten, aufrecht zu erhalten. Zudem spielt die Frage der Kirchenzugehörigkeit eine Rolle im Blick auf Mitarbeitende. Christlichkeit und kirchliches Engagement ist ein Thema für jeden Personalverantwortlichen.

KNA: Also muss er bei jeder Putzfrau nachfragen?
Neher: Wir haben den Anspruch, dass niemand, der bei uns anfängt, erst einmal das Glaubensbekenntnis ablegen muss. Aber zugleich brauchen wir Menschen, die das kirchliche Selbstverständnis mittragen. Sie sind der Sauerteig, der andere einladen und mitnehmen soll, die in ihrer Biografie von dieser Botschaft weniger berührt wurden. Es ist nicht einfacher geworden, engagierte Menschen aus kirchlich-christlichem Selbstverständnis zu finden.

KNA: Sinkende Einnahmen, Diskussionen um das deutsche Kirchensteuermodell... Sehen Sie den dritten Weg des eigenen kirchlichen Arbeitsrechts noch stabil gesichert?
Neher: Die Entlohnung im Bereich der Caritas ist, gerade mit Blick auf Mitbewerber, eine gute Entlohnung. Ich wünsche mir, dass das auch in Zukunft möglich ist. Aber die Refinanzierung hat sich in Deutschland in den letzten Jahren erheblich verändert. Dennoch muss es gelingen, an unserem Rahmen festzuhalten. Immerhin sind wir der einzige deutsche Wohlfahrtsverband, der noch ein einheitliches Arbeitsrecht und eine bundeseinheitlich geregelte Entlohnung hat.
Das ist ein Pfund, mit dem es zu wuchern gilt.

KNA: Was heißt das für die Bezahlung?
Neher: Die Zeiten sind vorbei, in denen es darum ging, Zuwächse nach BAT zu verteilen. Wir haben im Verband noch nicht den Weg gefunden, in einer differenzierteren Lohngestaltung notwendige Abweichungen von bundeseinheitlichen Regelungen zu erreichen. Es ist eben etwas anderes, ob sie eine Pflegekraft in München oder auf dem Land in Thüringen bezahlen. Den Rahmen dafür hat unsere Arbeitsrechtliche Kommission in einer Ordnung geschaffen. Die konkrete Umsetzung steht als Bewährungsprobe noch aus. Es ist mühsam, den Weg einer differenzierten Lohngestaltung adäquat zu gehen.

KNA: Kardinal Meisner sagt, angesichts der wachsenden Pluralität der Mitarbeiter sollte der Verband sich kleiner setzen. Wenn es mehr katholische Kitas als katholische Kinder gebe, müsse man reagieren.
Sein Bild für die Caritas: Der Motor sei derzeit zu klein für die große Karosserie...
Neher: Jesus hat uns mitten hinein in die Gesellschaft gesandt, um den Armen die Frohe Botschaft zu bringen, die Kranken zu heilen und die Bedürftigen zu unterstützen. Unabhängig von ihrer Konfessionszugehörigkeit. Wenn Sie das auf den Verband zuspitzen wollen: Prälat Lorenz Werthmann hat als Gründer die verbandliche Caritas in diesem Umfeld einer modernen Gesellschaft angesiedelt. Die Kirche ist nicht die Kirche des heiligen Restes. Unsere Aufgabe ist es, im Rahmen unserer Arbeit einen Gott sichtbar zu machen, der sich der Menschen annimmt.

KNA: Was heißt das dann inhaltlich für das Personal.
Neher: Wo immer Menschen in Not sind, ist der Dienst der Kirche mit ihrer Caritas gefordert. Und - da unterstütze ich das Anliegen des Kardinals - wir haben alles dafür zu tun, die theologische und spirituelle Fundierung unserer Arbeit zu befördern. Aber das machen wir bereits seit Jahren. Unterschiedliche Initiativen bringen Mitarbeitende mit unseren geistlichen Wurzeln in Berührung und laden sie ein, das eigene Leben daran auszurichten. Wir haben seit vier Jahren eine Abteilung für theologische und verbandliche Grundlagen in der Zentrale. Es geht nicht um ein "lieber klein und fein". Vielmehr müssen wir mit unserem Selbstverständnis in der Gesellschaft präsent und wahrnehmbar sein.

KNA: Kann es dennoch sein, dass Einrichtungen geschlossen werden?
Neher: Ob Einrichtungen geschlossen werden müssen, ist im Einzelfall zu prüfen. Im Auftrag des Evangeliums und mit der Kompetenz der katholischen Soziallehre und der christlichen Sozialethik haben wir jedoch einen Dienst in der Gesellschaft zu leisten. Die katholische Kirche hat dafür mit der Caritas ein überzeugendes Gesicht.