Mit Christine Lieberknecht wird erstmals eine Pastorin Ministerpräsidentin eines Bundeslandes

In protestantischer Freiheit

Nach einem wahren Politkrimi im Erfurter Landtag hat Thüringen am Freitag einmal mehr deutsche Parlamentsgeschichte geschrieben: Mit der 51-jährigen CDU-Politikerin Christine Lieberknecht wurde erstmals eine Pastorin zur Ministerpräsidentin eines Bundeslandes gewählt.

Autor/in:
Thomas Bickelhaupt
 (DR)

Allerdings erreichte sie erst im dritten Wahlgang die erforderliche Mehrheit. In einer Kampfabstimmung setzte sie sich mit 55 Stimmen gegen Bodo Ramelow von der Linkspartei durch, der nach den ersten beiden erfolglosen Wahlgängen seine Kandidatur erklärt hatte.

Trotz dieses weithin unerwarteten Auftakts der neuen Wahlperiode soll Lieberknecht als erste Unionspolitikerin an der Spitze einer Landesregierung in den nächsten fünf Jahren eine Koalition von CDU und SPD anführen. Dass Wahl und Vereidigung der Regierungschefin unmittelbar vor dem Reformationstag geschahen und noch dazu in einem der "Kernlande" der Reformation, kommt dem Naturell der Politikerin durchaus entgegen. Denn ihr persönliches Credo ist in ganz entscheidendem Maß vom protestantischen Selbstverständnis bestimmt.

"In erster Linie bin ich Christin", bekräftigt sie und verweist dazu besonders auf Martin Luthers Schrift "Von der Freiheit eines Christenmenschen". Mit dieser Grundhaltung ging die evangelische Theologin, die sich gern als "Thüringerin durch und durch" bezeichnet, schon 1981 in der DDR in die Ost-CDU - aus freien Stücken, aber nicht ohne den Widerspruch von Freunden und Bekannten, wie sie einräumt. Doch als Pastorin auf dem Land bei Weimar wollte sie damals aktuelle Themen auch außerhalb der Kirchenmauern ansprechen.

Predigten vor leeren Dorfkirchen seien "manchmal mehr ein Monolog mit mir selbst" gewesen, erinnert sie sich an frühere Gottesdienste. Als sie jedoch mit der Blockpartei im Dorf eine "Friedenswoche" organisierte, habe es Ärger mit der Staatsmacht gegeben. Gleichwohl habe sie sich bei aller Bedrängnis in der DDR ihre innere Freiheit bewahrt, sagt sie mit Nachdruck. Das gelte für die Arbeit in der Kirchgemeinde ebenso wie für die Familie mit den beiden Kindern und ihrem Mann, der ebenfalls Pfarrer ist.

Dabei erlebte die Pastorin die Gemeinden immer auch als Spiegel der zunehmenden gesellschaftlichen Krise in der DDR. So hat es auch nicht überrascht, dass sie schließlich im September 1989 zu den vier Mitgliedern der DDR-CDU gehörte, die mit ihrem "Brief aus Weimar" die eigene Partei wie die Gesellschaft insgesamt zu demokratischen Reformen aufforderten. Der Text, mit dem die erste ostdeutsche Blockpartei ihre Umklammerung durch die allmächtige Sozialistische Einheitspartei aufzubrechen versuchte, sollte zu einem wichtigen Impuls für die friedliche Revolution in der DDR werden.

20 Jahre danach kann Lieberknecht auf eine beachtliche persönliche Bilanz beim Aufbau eines demokratischen Gemeinwesens im kleinsten der ostdeutschen Bundesländer verweisen. Sie war bisher Kultus- und Europaministerin, Landtagspräsidentin, Fraktionsvorsitzende und seit Mai 2008 Sozialministerin. Als Kultusministerin versagte sie im Januar 1992 dem damaligen CDU-Ministerpräsidenten Josef Duchac wegen anhaltender Stasi-Vorwürfe die Gefolgschaft. Damit bescherte sie den Thüringern als langjährigen Landesvater der Union den rheinland-pfälzischen Bernhard Vogel.

Dessen Nachfolger, Dieter Althaus aus dem katholischen Eichsfeld in Nordthüringen, beerbte sie nach der verlorenen Landtagswahl vom 30. August, indem sie die "Ära Althaus" kurzerhand für beendet erklärte. In jeder neuen Herausforderung habe sie sich trotz aller Mehrbelastung stets "in die Pflicht genommen" gefühlt, sagt Lieberknecht. Gleichzeitig seien ihr aber auch das elterliche Pfarrhaus wie der Pastorenberuf wichtig geblieben. Die vor 25 Jahren erhaltene Ordination berechtigt sie weiterhin zu kirchlichen Amtshandlungen wie Taufen und Predigten oder zur Austeilung des Abendmahls.

Wichtig ist ihr auch die Mitarbeit in der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland und in verschiedenen ihrer Gremien. "Kirche wird mir immer Heimat bleiben", fasst Lieberknecht ihre innere Lebenshaltung zusammen. Solange sie aber in politischer Verantwortung steht, besteht die Theologin auf einer strikten Trennung beider Bereiche: "Wer in der Politik ist, gehört nicht auf die Kanzel."