Essen und Ruhrgebiet sind Kulturhauptstadt

Von Madonna bis Maloche

Zusammen mit dem ungarischen Pecs und der Bosporus-Metropole Istanbul trägt Essen in diesem Jahr den prestigeträchtigen Titel "Europäische Kulturhauptstadt". Wie beim 1.150-Jahr-Jubiläum der Stadt im Jahr 2002 heißt es auch diesmal wieder: "Essen feiert mit Madonna".

Autor/in:
Joachim Heinz
 (DR)

So lautete ein Slogan zum 1. Wobei nicht der US-amerikanische Popstar gemeint war, sondern eine kleine Marien-Statue aus Pappelholz. Unter Kunstkennern und Pilgern genießt die gerade einmal 75 Zentimeter hohe, dafür aber über 1.000 Jahre alte Figur gleichwohl so etwas wie Kult-Status. Die Rolle eines Besuchermagneten wird das älteste vollplastische Marienbild der Welt, das im Essener Münster zu sehen ist, wohl auch in diesem Jahr übernehmen.

Im Gegensatz zu den beiden Mitbewerbern steht Essen dabei ausdrücklich für die gesamte Region, wie das offizielle Logo "Ruhr.2010" verrät. Bösen Zungen, die darin einen Versuch sehen, auf diesem Wege die Zahl der kulturhistorisch bedeutsamen Sehenswürdigkeiten der Revierstadt künstlich zu mehren, begegnen die Verantwortlichen gelassen. "Essen ist nun einmal eingebunden in den drittgrößten Ballungsraum Europas und diese Vielfalt wollen wir entsprechend darstellen", sagt ein Sprecher des "Ruhr.2010"-Büros.

In der Tat verfügen Essen und "der Pott" über eine Reihe von Monumenten, Mythen und Museen, die dem gängigen Klischee von stillgelegten Kohlezechen und Stahlwerken so gar nicht entsprechen wollen. Da finden sich romantische Wasserschlösser wie die Renaissance-Residenz der mächtigen Fürstäbtissinnen von Essen in Borbeck, deren Stift als Keimzelle der Stadt gilt. Oder der Gourmet-Tempel Hugenpoet im ehemals selbstständigen Kettwig. Moderne Kunst der Spitzenklasse bietet das Folkwang-Museum. Wenige Autominuten entfernt, in der pompösen "Villa Hügel" der Industriellenfamilie Krupp, sind immer wieder alte Meister zu Gast.

Ähnlich vielseitig präsentiert sich Duisburg im Westen mit dem Wilhelm-Lehmbruck-Museum. Oder Gelsenkirchen und sein zur "Erlebniswelt" umgebauter Zoo. Entdeckernaturen können in Bochum-Stiepel durch ländliches Idyll zu einem florierenden Zisterzienserkloster wandern. Und sich in Dortmund auf die Spuren sagenumwobener adeliger Stammsitze aus dem Mittelalter begeben. Die steinernen Hinterlassenschaften sind zugleich stumme Zeugen wirtschaftlicher Aktivitäten aus vorindustrieller Zeit. Bereits seit den alten Germanen war das Revier über den westfälischen Hellweg an die wichtigsten Fernhandelsrouten angebunden.

Dennoch: Es sind und bleiben die Fördertürme und Fabrikschlöte, die das Bild der Region nach außen hin prägen - und das wohl noch für lange Zeit. Auch wenn die letzte Zeche auf Essener Stadtgebiet schon im Jahre 1986 ihre Pforten schloss. Heute ist das Gelände namens "Zollverein" Weltkulturerbe und soll eines von fünf großen Besucherzentren der "Ruhr.2010" werden. Den Organisatoren geht es darum, die Erinnerung an die Welt der Kumpel und Malocher wachzuhalten und gleichzeitig den besonderen Reiz des industriellen Erbes zwischen Emscher und Lippe zu vermitteln.

Wie schwer das Ruhrgebiet an diesem Erbe zu tragen hat, zeigt ein Rundgang durch Katernberg. Der Stadtteil gilt als einer der Problembezirke von Essen. Rußgeschwärzte Bergarbeiter-Siedlungen, leere Ladenlokale und vereinsamte Straßenzüge lassen wenig davon erahnen, dass einst über 8.000 Menschen allein auf Zollverein in Lohn und Brot standen. Hier scheint die Zeit stehen geblieben zu sein - nicht gerade zur Freude von Städteplanern und den verbliebenen Bewohnern.

Andererseits: Wer eine der typischen "Trinkhallen" aufsucht, wird nostalgische Gefühle nicht unterdrücken können. Hier werden noch "Erfrischungen" feilgeboten statt neumodischen "Coffee to go"-Schnickschnacks. Oft dienen die Kioskbuden als Umschlagplätze für Neuigkeiten aus den jeweiligen Fußballclubs. Ob Fan von Schalke 04 oder Borussia Dortmund ist hier schließlich eine Art Glaubensfrage. Dass auch die Kirchen selbst wichtige Identifikationspunkte sind, zeigt sich am 8. Januar 2010. Im ganzen Revier läuten dann um Punkt 18.00 Uhr rund 4.000 Glocken in evangelischen und katholischen Gotteshäusern das Kulturhauptstadtjahr ein.