Ehrenamtliche helfen Migranten im Alltag

Lotsen für Zuwanderer

Seit den Thesen Thilo Sarrazins ist die Debatte über Integration wieder voll entbrannt – vor allem mit Blick auf die negativen Seiten: die sich allen Angeboten Verweigernden. Doch es gibt auch Migranten, die Teil ihrer neuen Heimat werden wollen. Für sie bietet das Land Niedersachsen das Modell der Integrationslotsen an.

Autor/in:
Martina Schwager
 (DR)

Helga Raabe hat 15 Jahre mit ihrer Familie in Afrika gelebt. "Dort war ich Fremde und musste mich integrieren. Als ich nach Deutschland zurückkam, musste ich mich erst wieder zurechtfinden", sagt die 68-Jährige. Heute lebt sie in Osnabrück und engagiert sich als Integrationslotsin. "Ich will mich um die Menschen kümmern, die sich hier noch nicht zu Hause fühlen." Sie gibt Deutschkurse für ausländische Frauen, organisiert Willkommenstage und lernt mit Migrantenkindern - alles ehrenamtlich.



Das Land Niedersachsen fördert insgesamt 1.200 Integrationslotsen jährlich mit 300.000 Euro. Das Geld wird vor allem für die Organisation und die Schulung der Ehrenamtlichen eingesetzt. Niedersachsens Integrationsministerin Aygül Özkan (CDU) ist von der Arbeit der Lotsen überzeugt, sie leisteten unbürokratisch Überzeugungsarbeit von Mensch zu Mensch: "Sie engagieren sich als Sportlotsen, Hochschullotsen oder Bildungslotsen. Jeder dort, wo er am besten unterstützen kann."



Wenn Ekaterina Roeva (25) mit energischem Schritt den Gang entlangeilt, dann hellt sich das Gesicht von Viktor P. auf. Zwar spricht der alte Herr auch einigermaßen Deutsch, aber Russisch ist die Sprache seiner Kindheit. Viktor P. lebt im Bischof-Lilje-Altenzentrum in Osnabrück. Den größten Teil seines Lebens hat er wie mehrere seiner Mitbewohner in Russland verbracht. Ekaterina ist in Kasachstan geboren. Heute studiert sie Jura und engagiert sich als Integrationslotsin. "Ich dachte zu Anfang, ich muss vielleicht bestimmte Dinge regeln oder übersetzen. Aber die Alten freuen sich einfach, wenn ich mich mit ihnen in ihrer Muttersprache unterhalte."



"Auf jeden Fall ein guter Ansatz"

In einer Analyse haben Wissenschaftler des Osnabrücker Instituts für Migrationsforschung und interkulturelle Studien 2009 festgestellt, dass sich sowohl gut integrierte Zuwanderer als auch interkulturell aufgeschlossene Einheimische zu Integrationslotsen ausbilden lassen. Das sei nur einer der positiven Aspekte des insgesamt sehr sinnvollen Programms, urteilt Institutsdirektor Andreas Pott: "Wenn Deutsche und Zuwanderer ganz selbstverständlich einbezogen sind, ist das auf jeden Fall ein guter Ansatz." Mittlerweile hätten auch andere Bundesländer das niedersächsische Modell übernommen, das es dort seit 2007 gibt.



Allerdings könne ein solches Freiwilligen-Projekt eine systematische Integrationspolitik nicht ersetzen, sagt Pott. Mindestens bis zum Jahr 2000 habe es lediglich eine Migrationsverhinderungspolitik, aber keine Integrationspolitik gegeben. Mittlerweile würden die Versäumnisse zwar nachgeholt. "Die Politik darf sich aber auch jetzt nicht hinter Ehrenamtsprojekten verstecken und sie als Feigenblatt benutzen", sagt der Wissenschaftler.



Möglichst früh Deutsch lernen

Es blieben trotz einer insgesamt guten Integration noch eine Menge Probleme, die gelöst werden müssten, drängt Pott. Die Arbeitslosenquote unter Zuwanderern sei noch immer viel zu hoch. Der Bildungserfolg hänge noch immer viel zu stark von der Herkunft ab.



"Das Wichtigste ist, dass die Kinder möglichst früh Deutsch lernen", findet Helga Raabe. Durch ihre Arbeit als Integrationslotsin sei ihr aber auch deutlich geworden, welches Leistungsvermögen viele Kinder mitbrächten: "Das ist doch großartig. Die wachsen mit Türkisch und Arabisch auf, werden im Kindergarten erstmals mit Deutsch konfrontiert und werden dann in der Schule gefordert."